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Das Ausland. 1,2.1828


Blüthen treiben, immer herrlichere Früchte tragen. Wie die Sonne zuerst nur einzelne Gebirgsgipfel erleuchtend, immer weiter und weiter in die Thäler am Fuße derselben hinabdringt, bis sie endlich ihre Strahlen weithin über die ganze Gegend sendet: so hat die Civilisation, das Wissen, im höchsten Sinne des Worts, das einst nur in der einsamen Brust des gottbegeisterten Sehers ruhte, sich allen folgenden Generationen in immer weiteren Kreisen mitgetheilt, als Geheimniß anfangs einzelnen Familien oder Stämmen, dann einzelnen Städten, von diesen den umgebenden Völkern, bis dasselbe das Gesammteigenthum jenes Theiles der Welt wurde, welcher jetzt, als der einzige zur Humanität gereifte, auch der einzige herrschende ist. Dieß ist unsere Größe, die uns über das Alterthum erhebt. Dieses ehrte am höchsten nur den Sieg der physischen Gewalt; das Schwert war es, welches die Verhältnisse der Völker schuf, während der Geist, auf einen engen Kreis beschränkt, außerhalb desselben weder Wirkung übte, noch Anerkennung fand. Wenn der Grieche nicht mehr Griechenland, wenn der Römer nicht mehr Rom sein nennen durfte, so war die Welt für ihn verloren. Unserer Zeit war es vorbehalten, den unvergänglichen ewigen Sieg der Geistesmacht zu erkennen; die Civilisation bildet, unabhängig von zufälliger Gewalt, die inneren, bestimmt die äußeren Verhältnisse der Nationen, und schlingt ein allgemeines geistiges Band um alle Glieder der großen Familie, welche die Erde bewohnt. Dem freien Denker, ungerecht verurtheilt von dem Tribunal eines Hofes, einer Stadt eines Staates, steht die Appellation an die Welt offen an jenes Gemeingewissen der Völker, welches zwar oft frevlem Spiel zum Hebel, noch frevelhafterem Hohne zur Zielscheibe gedient hat, aber bereits allzugewaltig richtend eingeschritten ist, als daß auch der blödeste Sinn länger sein Daseyn abläugnen könnte. Thöricht wäre es, wenn eine engherzige Politik die Wirkung desselben zu hemmen suchte. Seine Triumphe zu feiern, ist die würdigste Aufgabe der Politik, die sie ahnte, als sie durch die Stiftung eines europäischen Völkerbundes den kühnen Traum Heinrichs des Vierten zu verwirklichen suchte.

Schon breitet der Baum der Wissenschaft und Civilisation, dessen Stamm in Europa gewurzelt ist, seine Zweige über alle Theile der Erde aus. Ihn auszurotten, wäre vergebliches Bestreben; da, jenem amerikanischen Wunderbaume gleich, auch von diesem jeder einzelne Zweig, so wie er sich zur Erde senkt, auf’s neue Wurzeln schlägt, und einen neuen Stamm und bald einen ganzen unverwüstlichen Wald bildet.

Die schönsten Blüthen aller der verschiedenen Stämme dieses wunderbaren Baumes zu sammeln, soll das angestrengte Bemühen der Männer seyn, welche sich zur Redaction der Zeitschrift vereinigt haben, von der wir dem Publikum die ersten Blätter vorzulegen im Begriff sind. Möge die Freundlichkeit der Nehmenden mit dem guten Willen und Eifer der Anbieter und Geber in gleichem Verhältniß stehen!




Die transatlantischen Staaten und Colonien, am Schlusse des Jahres 1827.

Von C. N. Röding.

Das eigentliche Ausland für Europa ist die transatlantische Hemisphäre; Europa ist dahin übergegangen, so wie Asien’s Licht und Bildung nach Europa überging. Amerika gehört nicht mehr zu Europa, aber es erkennt unsern Welttheil noch immer im höhern Sinne als Mutterland an, jedoch mit dem Rechte der Mündigkeit, in selbsterwählter, vernünftiger Abhängigkeit, durch den Wechseltausch innerer und äußerer Bedürfnisse, gebend und empfangend. Bis jetzt hat jene Westveste noch keine Ursprache, welche wirklich zur Schriftsprache gebildet wäre; allein die Sprachen eines Camoëns, Shakespear’s und Calderons sind dahin verpflanzt, und erlangen dort auf den Rednerbühnen der Republiken die Weihe selbstständigen Lebens. Zwar richtet die Sorge für den nächsten Bedarf, welche jede ästhetische Bildung ausschließt, noch den Blick auf den Boden. Doch eben dieser wunderbare, zauberisch geschmückte Boden, die schätzevollen Gebirge, die Riesenströme, welche, tief in die Länder eindringend, Nation mit Nation verbinden, und zugleich breite Mündungen gegen den Ocean, der Heimath der Freiheit öffnen – dieser Boden, ohne Sandsteppen und unfruchtbare Haiden – ist der Spielraum für die Neu-Europäer, eine Arena des herrlichsten Wettkampfes, ein Jugendland wie es die Erde nur einmal hat und welches früher, so modificirt, sich nirgends darbot.

Während im Orient die Pflugschaar des Krieges und der innern Umwälzungen noch blutige Furchen ziehen wird, bis die Hoffnungen derer näher rücken können, die erwartungsvoll zum Osten blicken, ist hier bereits theils hoffnungsvolle Saat, theils reiche Ernte.

Da nun aber das Leben der Staaten in Amerika ein werdendes ist, da dort in rascher Entwicklung noch immer Eines das Andere verdrängt und besonders in den neuen Republiken die Gestaltungsperiode keineswegs beendigt scheint, so möchte unsern Lesern eine kurze Skizze der Lage und Verhältnisse, worin sich Amerika gegen das Ende des Jahres 1827 befand, als Einleitung und Bestimmung des Standpunctes für künftige Mittheilungen, nicht unwillkommen seyn.

1.

Höchst wichtig für die Ausmittlung der Frage, in Rücksicht der Nordgrenze Nordamerikas, war die Expedition des Capitän Franklin nach den Polar-Gegenden, welchem der Captiän Bleechy auf dem Schiffe Blossom durch die Behringsstraße von Südwesten her begegnen sollte, wodurch denn die Möglichkeit einer nördlichen Durchfahrt erwiesen und die amerikanische Nordgrenze berichtigt gewesen wäre. Capitän Franklin gelangte, von der Mündung des Mackenzie-Strom’s ab, an der Küste westlich hinschiffend, am 18. Aigust 1826 bis zum 150° westl. L. üb. Greenwich (227° 39’ L. üb. Ferro) ward aber durch heftige Windstöße und dicke Nebel, eine schreckliche Schwierigkeit in unbekannten Gewässern, verhindert, noch weiter vorzurücken; Capitän

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Eberhard L. Schuhkrafft: Das Ausland. Cotta, Stuttgart, München, Augsburg, Tübingen 1828, Seite 2. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Das_Ausland_(1828)_009.jpg&oldid=- (Version vom 5.10.2023)