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Ein Paar von Geistern, todtenfahle, nackte,

Brach vor, so wie aus seinem Stall das Schwein,
Indem’s auf Alles mit den Zähnen hackte.

28
Der schlug sie in den Hals Capocchio’s ein,

Und schleppt’ ihn fort, und nicht gar sanft gerieben
Ward ihm dabei der Bauch am harten Stein.

31
Der Aretiner, der voll Angst geblieben,

Sprach: „Schicchi ist’s, der tolle Poltergeist,[1]
Der solch ein wüthend Spiel schon oft getrieben.“

34
„„Wie du geschützt vor Jenes Zähnen seist,““

Entgegnet’ ich, „„so sprich, eh’ er entronnen,
Wer dieser Schatten ist, und wie er heißt.““

37
„Die Myrrha ist’s, die schnöden Trug ersonnen,“[2]

Erwiedert’ er, „die mehr als sich gebührt,
Vor alter Zeit den Vater liebgewonnen,

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Und die mit ihm das Werk der Lust vollführt,

Weil sie die fremde Form sich angedichtet;
Wie Jener, der Capocchio dort entführt,

43
Weil Simon ihn durch’s beste Roß verpflichtet,

Als falscher Buoso sich ins Bett gelegt
Und so für ihn ein Testament errichtet.“

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Als nun die Tollen sich vorbeibewegt,

Ließ ich mein Auge durch die Tiefe streichen,
Und sah, was sonst der Schlund an Sündern hegt.

49
[171] Der Eine war der Laute zu vergleichen,[3]

Hätt’ ihm ein Schnitt die Gabel weggeschafft,
Die jeder Mensch hat abwärts von den Weichen.

52
Die Wassersucht, durch schlecht verkochten Saft

Ein Glied abmagernd und das andre blähend,
Die hart den Bauch macht, das Gesicht erschlafft,

55
Hielt ihm die beiden Lippen offenstehend,

Die nach dem Kinn, und die emporgekehrt,
Und dem Schwindsücht’gen gleich, vor Durst vergehend.

58
„Ihr, die ihr schmerzlos geht und unversehrt,

Wie? weiß ich nicht in diesen Schmerzens-Thalen,“
Er sprach’s, „o schaut und merkt und seid belehrt

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Von Meister Adams schreckenvollen Qualen.

Kein Tröpflein, ach, stillt hier des Durstes Glühn;
Dort konnt’ ich, was ich nur gewünscht, bezahlen.

64
Die muntern Bächlein, die vom Hügelgrün

Des Casentin zum Arno niederrollen,[4]
Und kühl und lind des Bettes Rand besprühn,

67
Ach, daß sie mir sich ewig zeigen sollen,

Und nicht umsonst – mehr, als die Wassersucht,
Entflammt dies Bild den Durst des Jammervollen!

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So nützt Gerechtigkeit, die mich verflucht,

Noch selbst den Ort, wo ich in Schuld verfallen,
Um zu vermehren meiner Seufzer Flucht.


  1. 32. Johann Schicchi, berüchtigt durch das Talent, andere Personen täuschend darzustellen. Weil Buoso Donati [unter den Dieben Ges. 25, 140 ff.] in einem frühern Testamente, um sich wegen verübter Diebstähle Verzeihung vom Himmel zu verdienen, sein großes Vermögen größtentheils frommen Stiftungen vermacht hatte, ließ, als derselbe verstorben war, Schicchi den Leichnam heimlich wegschaffen, und legte sich statt seiner in’s Bett, um zum Vortheile des Simon Donati, der ihm dafür das beste Roß [im Original „die Königin der Koppel“] versprochen, ein falsches Testament zu errichten. Wirklich wußte er Stimme und Art des Verstorbenen so nachzumachen, daß Notarius und Zeugen nichts von dem gespielten Betruge entdeckten.
  2. 37. Myrrha, die Tochter des Cinyras, Königs von Cypern, pflog mit ihrem Vater, ohne daß dieser sie erkannte, eine Zeitlang im nächtlichen Dunkel blutschänderischen Umgang. Als einst zufällige Beleuchtung des Orts sie verrieth, verfolgte sie ihr Vater unter tausend Verwünschungen. Aber sie entkam nach Arabien und beweinte dort ihr Vergehen so lange, bis sie in eine Myrrhe verwandelt wurde.
  3. [171] 49. Die Laute hat bekanntlich einen runden weit vortretenden Bauch und einen verhältnißmäßig dünnen Hals. Die Gestalt eines Wassersüchtigen würde daher mit ihr zu vergleichen sein, wenn nicht durch die beiden Beine des Menschen die Aehnlichkeit aufgehoben würde. – Mit der Wassersucht sehen wir einen Falschmünzer, Meister Adam von Brescia, bestraft. Auf Verlangen der Grafen von Romena, die wahrscheinlich durch diese Operation ihre Finanzen verbessern wollten, verfälschte er die Goldgülden durch einen Zusatz schlechten Metalles, wofür er zuletzt auf dem Scheiterhaufen büßte. Die Wassersucht deutet auf den Zustand derjenigen Staaten, welche sich in der Noth durch Verschlechterung der Münzen und in neuerer Zeit durch Papiergeld zu helfen suchen. Sie scheinen auf den ersten Anblick wohlgenährt. Aber ihr wahrer Zustand ist krankhafte Aufblähung. – Die Erinnerung an das, was Meister Adam einst hatte, und was er jetzt durch eigene Schuld schmerzlich entbehrt, ist eben so wahr als schön ausgedrückt. Tasso, der überhaupt oft aus Andern geschöpft, scheint dies Bild im befreiten Jerusalem Ges. 13 St. 60 vor Augen gehabt zu haben.
  4. [65. Das Casentino ist das obere Arnothal.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 170 bzw. 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_170171.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)