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Des Geistes Zaum zu festerm Widerstand,

22
Damit ich nicht den Lauf vom Rechten lenke,

Nicht, was zu meinem Wohl mein Stern bezweckt,
Was höhre Huld, verderbend, selbst mich kränke. –
 [Denn:]

25
So viel der Bau’r, am Hügel hingestreckt,[1]

Zur Zeit, da Er, deß Blick die Erde lichtet,
Sein Antlitz uns am wenigsten versteckt,

28
Wenn sich die Fliege vor der Schnacke flüchtet,

Johanneswürmchen sieht im Thal entlang,
Wo er mit Hipp und Pflug sein Thun verrichtet;

31
So viele Flammen sah den tiefen Gang

Des achten Thals mein Auge jetzt verklären,
Sobald ich dort war, wo’s zur Tiefe drang.

34
Wie der, der sich gerächt durch wilde Bären,[2]

Elias Wagen sah von dannen zieh’n,
Als das Gespann aufstieg zu Himmels-Sphären,

37
Umsonst ihm mit dem Auge folgt’ und ihn

Gestaltlos nur als ferne Flamm’ erkannte,
Die wie ein leichtes Abendwölkchen schien:

40
So war’s, als wandelnd hier manch Flämmchen brannte,

Und keines doch, das seinen Raub mir wies,
Ob jegliches gleich einem Geist entwandte.

43
So vorgebeugt zum Grunde sah ich dies,[3]

Daß ich, hielt’ ich nicht fest an einem Blocke,
Zur Tiefe fuhr, ohn’ daß ich nur mich stieß.

46
Virgil, der sah, wie mich der Anblick locke,

Sprach nun: „Jedwedes Feu’r birgt einen Geist,
Und das, worin er brennt, dient ihm zum Rocke.“

49
[147] Drauf ich: „„Die Kunde, die du mir verleihst,[4]

Macht mich gewiß; schon glaubt’ ich’s zu erkennen,
Und fragen wollt’ ich schon, wie Jener heißt,

52
Deß Flamm’ ich seh in zwei sich oben trennen,

Als säh’ ich in des Scheiterhaufens Glut
Eteokles und seinen Bruder brennen.““[5]

55
Und er: „Sie dämpft Ulysseus Uebermuth

Und Diomeds. Sie laufen hier zusammen.
In ihrer Qual, wie einst in ihrer Wuth.

58
Um’s Trugroß klagen sie in diesen Flammen,[6]

Und um das Thor, das Ausgang Jenen bot,
Der Heldenschaar, von der die Römer stammen.

61
Die List beweinen sie, durch die, schon todt,

  1. 25–30. [Das getreu ausgeführte Gemälde eines Abends im mittleren Italien, wenn um die Zeit der Sommersonnenwende nicht einzelne, nein tausende von Leuchtwürmchen über dem Boden schweben, aber auch statt der Tagesfliege die stechende Schnacke (Zanzara) schwärmt, welche jeder Reisende zu seiner Qual kennen lernt.]
  2. 34. Elisa, nachdem er die Himmelfahrt des Elias angesehen, ging gen Bethel, und als mehre kleine Knaben ihn verspotteten, fluchte er ihnen, im Namen des Herrn, worauf Bären aus dem Walde kamen, welche die Spötter zerrissen. 1. B. d. Könige K. 3. V. 23. 24.
  3. 43. Der Dichter steht etwas vorwärts gebogen am Brückenrande, unter sich die Tiefe, sich an einem Felsenblocke anhaltend.
  4. [147] 49. In dieser achten Abtheilung des achten Kreises finden wir die betrügerischen Rathgeber. Ihre Strafe ist, daß sie, mit einer Flamme bekleidet und unaufhörlich ihre Glut fühlend, einhergehen müssen. [Sie sprechen als feurige, knisternde Zungen, V. 85. ff. Ges. 27, 13–18. Hierin scheint der treffende Vergleichspunkt für Schuld und Strafe bei diesen Sünden zu liegen, deren Zunge, nach des Apostels Ausdruck Jac. 3, 5, im Leben „ein Feuer war, das ganze Wälder entzündete!“]
  5. 54. Eteokles und sein Bruder Polynices, sich um Theben befehdend, tödteten sich im Zweikampfe. Als man den Körper des letzteren auf den Scheiterhaufen warf, dessen Flammen jenen verzehrten, theilte sich die Glut, um nicht vereint diejenigen aufzulösen, die sich im Leben feindselig geschieden hatten.
  6. 58. Auf den Rathschluß des Ulyß wurde ein großes Roß von Holz erbaut, welches die Griechen, sich scheinbar von Troja zurückziehend, im Lager zurückließen. Nur Sinon war dabei geblieben und machte die Trojaner glauben, er suche bei ihnen Schutz vor der Verfolgung seiner Landsleute. Nach seiner Versicherung war dieses Roß gebaut worden, um die Minerva zu versöhnen, welche den Griechen über das von ihnen aus Troja entwendete Palladium zürnte. Dies Palladium, ein Bildsäule der Göttin, an welcher das Schicksal Troja’s hing, war von Ulyß und Diomed aus der Stadt entführt worden. – Die Trojaner, dem Truge Sinons trauend, führten das Roß jubelnd zur Stadt und rissen, da das Thor nicht geräumig genug war, es einzulassen, einen Theil der Mauer nieder. Aber in der Nacht entstiegen dem Bauche desselben die darin verborgenen griechischen Helden und eroberten mit ihren indessen zurückgekommenen Waffengefährten die Stadt. (S. Aeneis 2. B.) – [Jedoch sollten aus diesem Thor dann Aeneas und seine Schaar entkommen, welche später Rom, die ärgste Feindin Griechenlands, gründeten. Daher klagen sie auch „um das (geöffnete) Thor, das Ausgang Jenen bot.“]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 146 bzw. 147. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_146147.jpg&oldid=- (Version vom 29.9.2018)