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Die Gaben Gottes räuberisch und schnöde,

4
Ihr hingabt schnöd’ um Silber und um Gold,

Von euch soll jetzo die Posaun’ erschallen;
Euch zahlt der dritte Sack der Sünden Sold. –

7
Erstiegen hatten wir die Felsenhallen

Des Stegs, von welchem mitten in den Schooß
Des nächsten Schlunds die Blicke senkrecht fallen.

10
Allweisheit, wie ist deine Kunst so groß,

Im Himmel, auf der Erd’, im Höllenschlunde.
Und wie gerecht vertheilst du jedes Loos:

13
Ich sah dort an den Seiten und im Grunde

Viel Löcher im schwarzbläulichen Gestein,
Gleich weit und sämmtlich ausgehöhlt zum Runde.

16
Sie mochten so, wie jene, wo hinein[1]

Beim Taufstein Sanct Johanns die Täufer treten,
Und enger nicht, doch auch nicht weiter sein.

19
Eins dieser sprengt’ ich einst, weil ich in Nöthen

Ein halbersticktes Kindlein drin entdeckt:
So sei’s besiegelt, so will ich’s vertreten!

22
Ich sah, daß sich aus jedem Loch gestreckt,

Zwei Füß’ und Beine bis zum Dicken fanden,
Der andre Leib blieb innerhalb versteckt;

25
Sah wie die Sohlen beid’ in Flammen standen,

Und sah die Knorren zappeln und sich drehn,
So stark, daß sie wohl sprengten Kett und Banden;

28
Wie wir’s an ölgetränkten Dingen sehn,

Wo obenhin die Flammen flackernd rennen,
So von der Ferse dort bis zu den Zeh’n.

31
[107] „„Gern, Meister,““ sprach ich, „„möcht’ ich diesen kennen,

Der wilder zuckt, als die, so ihm gesellt,
Und dessen beide Sohlen röther brennen.““

34
Und Er: „Ich trage dich, wenn dir’s gefällt,

Am schiefen Hang hinab – Er wird dir zeigen,
Wer einst er war, und was im Loch ihn hält.“

37
Drauf Ich: „„Du bist der Herr, und mein Bezeigen

Folgt dem gern, was mir als dein Wille kund,
Und du verstehst mich auch bei meinem Schweigen.““

40
Drauf ging’s zum vierten Damm, und links zum Schlund[2]

Trug mich mein Herr hinab zu neuen Leiden
In den durchlöcherten und engen Grund.

43
Er ließ mich nicht von seiner Hüfte scheiden,[3]

Auf die er mich gesetzt, bis bei dem Ort
Deß, der da weinte mit den Füßen beiden.

46
„„Du, mit dem Obern unten,““ sprach ich dort,

„„Hier eingerammt gleich einem Pfahl, verkünde:
Wer bist du? sprich, ist dir vergönnt dies Wort.““

49
Ich stand, dem Pfaffen gleich, dem seine Sünde[4]

Der Mörder beichtet, welcher, schon im Loch,
Ihn rückruft, daß der Tod noch Aufschub finde.

52
Da schrie er: „Bonifaz, so kommst du doch,[5]

  1. 16. [In der älteren Zeit wurden die Taufen nur an gewissen Festen und noch durch Untertauchen vollzogen. Es gab daher ein Gedränge des Volks, daß die Priester fast erdrückt wurden von den Zuströmenden. Dem abzuhelfen müssen im Baptisterium St. Johann zu Florenz in die dicken Umfassungsmauern des großen Wasserbeckens cylindrische Löcher gehölt worden sein, worein die Priester stiegen. Nach Benvenuto da Imola fiel einst ein spielender Knabe in ein solches hinein und verwickelte sich so, daß er beinahe erstickte. Viel Volk kam auf sein Geschrei herbei aber niemand wußte Hilfe, bis Dante, damals Prior der Stadt, herbeieilte und mit einer Axt die Marmorwand zerschlug. Dies scheint man ihm als Verletzung des Heiligen ausgelegt zu haben, wogegen er hier sich zu verwahren Gelegenheit nimmt.]
  2. [107] [40. Ueber die Brücke wo sie in V. 8 Stand genommen zur vierten Thalwand, durch welche die 3. Bulge gegen innen begrenzt wird.]
  3. 43. Mit den Füßen weinen ist ungewöhnlich, wie Vieles in diesem Dichter, aber scharf bezeichnend. Nur die Füße ließen sich sehen, und gaben schmerzliches Zucken den Schmerz des Sünders zu erkennen.
  4. 49. Zu Dante’s Zeit wurden die Meuchelmörder, mit dem Kopfe unten, in ein Loch gesteckt, und in dieser Stellung lebendig begraben.
  5. 52. Der Schatten, der hier spricht, ist Papst Nikolaus der Dritte. Da er, mit dem Kopfe im Loche, hört, daß sich Jemand neben ihm befinde, den Erschienenen aber nicht sehen kann, so glaubt er, es sei Bonifaz der Achte, welcher komme, ihn abzulösen. Da der Dichter seine Reise in die Hölle im Jahre 1300 gemacht zu haben versichert, in welchem Bonifaz noch lebte, so mußte allerdings Nicolaus, der nach Ges. 10. V. 100 ff. gleich den andern Verdammten die Zukunft voraussehen konnte, über die unvermuthete Ankunft des Nachfolgers im Loche sehr erstaunt sein. – [Es ist eine ebenso poetisch fein angebrachte, als kecke Weise, wodurch Dante hier seinem verhaßten Zeitgenossen, dem Feind der Weißen in Florenz, dem Verräther der Stadt an Karl von Valois, auch sonst einem um das Heil der Kirche nicht [108] sehr verdienten Papst, hier öffentlich den Platz in der Hölle anweist, nachdem er 1303 gestorben war. – Nikolaus des III. Regierung, 1277 bis 1280, an sich weniger verwerflich, war nach V. 70 ff. besonders durch Simonie befleckt. Die Bären bezeichnen seine Familie, die Orsini, für die er allzusehr sorgte. – Nach V. 73 steckten schon einige, noch ärgere, Simonisten-Päpste unter ihm, welche aber Dante nicht nennt. Genug, daß es mehrere sind!]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 106 bzw. 107. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_106107.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)