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Wenn er die Hand nach deinem Aste streckte,

So reut’s mich jetzt, daß, weil’s unglaublich schien,
Ich Lust in ihm zu solcher That erweckte.

52
Doch sag ihm, wer du warst. Er wird, wenn ihn

Der Tag einst neu umfängt, den Fehl zu büßen,
Dort frisch ans Licht dein Angedenken ziehn.“

55
Der Stamm: „Lockspeise ist im Wort, dem süßen,[1]

Die mich zum Sprechen treibt; mag euch’s, wenn mich
Der Drang beim Reden festhält, nicht verdrießen.

58
Ich bin’s, der einst das Herz des Friederich

Mit zweien Schlüsseln auf- und zugeschlossen,
Und sie so sanft und leis gedreht, daß Ich,

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Nur ich, sonst Keiner, sein Vertraun genossen –

Und bis ich ihm geopfert Schlaf und Blut,
Weiht’ ich dem hohen Amt mich unverdrossen.

64
Die Metze, die mit buhlerischer Glut[2]

Auf Cäsars Haus die geilen Blicke spannte,
Sie, aller Höfe Laster und Sünd’ und Wuth,

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Schürt’ an, bis Alles gegen mich entbrannte,

Und Alle schürten Friedrichs Gluten an,
Daß heitrer Ruhm in düstres Leid sich wandte.

70
Da hat mein zornentbrannter Geist, im Wahn,

[75] Durch Sterben aller Schmach sich zu entwinden,
Mir, dem Gerechten, Unrecht angethan.

73
Bei diesen Wurzeln schwör’ ich, diesen Rinden:

Stets war’s um meine Treue wohl bestellt
Für ihn, der werth war, ew’gen Ruhm zu finden.

76
Kehrt einer je von euch zurück zur Welt,

So mög’ er dort mein Angedenken heben,
Das jener Streich des Neids noch niederhält.“

79
Hier hielt er an, ich aber schwieg mit Beben.

Da sprach der Dichter: „Ohne Zeitverlust
Frag’ ihn, er wird auf Alles Antwort geben.“

82
Ich aber: „„Frag’ ihn selbst. Dir ist bewußt,

Was mir ersprießlich sei, ihm abzufragen;
Ich könnt’ es nicht, denn Leid drückt meine Brust.““

85
Und Er: „Soll einst, was du ihm aufgetragen,

Er frei vollziehn, dann, o gefang’ner Geist,
Beliebe dir, zuvor uns anzusagen,

88
Wie dieser Stämme Band die Seel’ umkreist?

Und ob den Rinden, die sich um sie legen,
Gleich Gliedern, jemals eine sich entreißt?“

91
Und zischend schien es sich im Stamm zu regen,

Dann aber ward das Weh’n zu diesem Wort:
„In kurzer Rede sag’ ich dies dagegen:[3]

94
Wenn die vom Leib’ sich trennen, welche dort

Sich frevelhaft in wildem Grimm entleiben,
Schickt Minos sie zu diesem Schlunde fort.

97
Hier fallen sie, wie sie die Stürme treiben,

In diesem Wald nach Zufall, ohne Wahl,


  1. 55. ff. Der hier sprechende Geist ist Peter von Vinea (von Vineis, wie er auch sonst genannt wird), von geringem Herkommen, aber von Kaiser Friedrich dem Zweiten durch langjähriges unbeschränktes Vertrauen geehrt und zu den höchsten Würden emporgehoben. Endlich wurde er unredlichen Eigennutzes, des Einverständnisses mit dem Papste und selbst der Theilnahme an einem Versuche, seinen Wohlthäter zu vergiften, beschuldigt und ins Gefängniß gesperrt, wo er 1249, aus Verzweiflung seinen Kopf an die Mauern stoßend, sich selbst tödtete. – Ob Peter von Vinea der Verbrechen, deren er angeklagt war, wirklich schuldig gewesen, oder ob der Neid, unwillig über seine Größe, sie ihm angedichtet, ist eben so ungewiß, als ob Friedrich, von diesem Verbrechen bereits überzeugt, ihn, wie man erzählt, im Gefängnisse habe blenden lassen. Jedenfalls ist das Zeugniß eines Schriftstellers von Dante’s Scharfsinn und Kenntniß, der so kurze Zeit nach ihm lebte, für seine Unschuld sehr beachtenswerth. Peter war übrigens nicht blos als Staatsmann, sondern auch als Dichter von dem kunstliebenden Friedrich geschätzt. Ein Sonett von ihm, das für das älteste Gedicht dieser Art gehalten wird, theilt Raumer Gesch. d. Hohenstaufen Th. 6 S. 506 mit. –
  2. 64. Die Scheelsucht.
  3. [75] 93. In den folgenden Versen ist die Strafe, welche diejenigen trifft, die gegen ihr eigenes Leben Gewalt verüben, näher angegeben, und wir werden das oben angedeutete Verhältniß zwischen Verbrechen und Strafe auch in diesen sinnreichen Bildern erkennen. Wie der Selbstmörder, nicht erwartend die naturgemäße Entwickelung des allgemeinen Verhängnisses, sich hinabstürzt in das dunkle Land, so soll er in diesem nach Zufall dahin fallen, wohin ihn der Sturm treibt. Der Geist, den er naturwidrig entfesselte, soll naturwidrig gefesselt bleiben im Baume, benagt von den Harpyen der Gewissensbisse. Und wie er die Schauder seines Todes, sich selbst in seiner Phantasie als Leiche erblickend, in seinem Entschlusse mit sich herumtrug, so soll er sie für immer nahe haben durch den Leib, welcher an dem Baume, der die Seele birgt, einst aufgehangen werden wird.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 74 bzw. 75. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_074075.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)