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Die gläubig auf den künft’gen Christ gesehn.

25
Dort, wo noch leere Lücken für Gefährten

Im Halbkreis sind, dort sitzen die gereiht,
Die ihren Blick auf den Gekommnen kehrten.

28
Wie hier der Fürstin Stuhl in Herrlichkeit

Und unter ihr die Andern zu gewahren,
Und wie sie bilden solchen Unterscheid;

31
So jenseits der des Täufers, der erfahren,

Der immer Heil’ge, Wüst’ und Märtyrpein[1]
Und dann der Hölle Nacht in zweien Jahren.

34
Franz, Benedict und Augustin – sie reihn

Sich unter ihm, die Scheidewand zu bauen,
Mit Andern unterhalb von Reih’n zu Reih’n.

37
Hier magst du Gottes hohe Vorsicht schauen,

Denn Glaube, welcher vor- und rückwärts eilt,
Erfüllt gleich zahlreich diese Gartenauen.[2]

40
Und von der Stuf’ abwärts, die mitten theilt

Die Scheidewände, sitzt die Schaar der Seelen,
Die nicht durch eigenes Verdienst hier weilt,

43
Nein, fremdes – nur darf der Beding nicht fehlen –

Denn hier sind Alle, die dem Leib entflohn,
Bevor sie noch vermochten, selbst zu wählen.

46
Dies merkst du an den Angesichtern schon

Und an den Stimmen, die noch kindlich klingen,
Wenn du wohl spähst und horchst auf ihren Ton. –

49
Nun seh’ ich schweigend dich mit Zweifeln ringen,[3]

  1. 32. 33. Johannes der Täufer zog sich als Jüngling in die Wüste zurück, wurde auf Herodes Befehl zwei Jahre vor Christi Tode hingerichtet, und erwartete, nach einer Legende, den Heiland während dieser Zeit im Vorhofe der Hölle.
  2. [39. Nach Dante’s Ansicht soll die Zahl der Auserwählten vor Christo der Zahl derjenigen nach Christo gleich sein. Dieser eigenthümliche Glaube ruht auf der, im Mittelalter häufigen baldigen Erwartung des Weltendes. Daher ist V. 25 im Sinn von 30, 132 zu verstehen, daß nämlich nicht viele mehr „in den Lücken“ erwartet werden.]
  3. [49–84. Da Dante die Kinderseelen, obwohl ohne eigenes Verdienst im Sinn von Ges. 29, 64 ff.; Ges. 28, 112 ff., doch auch verschiedene Stufen (von der Mitte ab) einnehmen sieht, so erhebt sich ihm noch einmal ein Zweifel, nämlich, ob dies Zufall sei? oder warum es sich so verhalte? V. 49–51. Sofort wird [604] das Erste auf’s Entschiedenste verneint (vgl. Ges. 17, 37 und 13, 64 nebst Anm.) V. 52–60. Sodann wird hinsichtlich des Zweiten die freie göttliche Vorbestimmung als letztes Princip hingestellt, deren tief verborgene Gründe wir nimmermehr erforschen können, V. 61–65, deren offenbare Wirkungen, wie sie schon an Beispielen der heil. Schrift, z. B. Jacob und Esau, ersichtlich sind, wir mit demuthsvollem Bescheiden einfach hinzunehmen haben, V. 66–75. Weil aber diese Wirkungen oder Thatsachen der göttl. Erwählung, so unerforschlich sie ihrem letzten Grunde nach sind, dennoch nicht gesetzlos sein können (s. oben V. 52 ff.), sondern sich an gewisse Bedingungen knüpfen, so sucht D. endlich diese Bedingungen (V. 43) dahin zu bestimmen: für die Kinder der ersten Jahrhunderte der Welt gilt der Glaube der Eltern (im allgemeinen Sinn) zur Seligkeit; von Abraham an für alles Männliche die Beschneidung; von Christo an bleibt, ohne die „vollkommene“ Taufe (im Unterschied von der sinnbildlich-andeutenden, der Beschneidung) die Unschuld „drunten festgehalten“ (im Limbus, Hölle 4) V. 76–84. So beendet D. seine öfteren, außerordentlich eingehenden Betrachtungen über die Gnadenwahl (vgl. 7, 94 ff.; 13, 112 ff.; Ges. 19, 20, 21).]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 603. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_603.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)