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112
„Er ruht’ am Busen unsers Pelikan;[1]

Ihn hat der Herr zur großen Pflicht erlesen,[2]
Als er den Martertod am Kreuz empfahn.“

115
Sie sprach’s; ihr Blick war wie er erst gewesen;[3]

Nicht mehr Aufmerksamkeit war jetzt darin,
Als erst, bevor sie dies gesagt, zu lesen.

118
Wie der, der nach dem Sonnenrande hin,

Der sich verfinstern soll, die Blicke sendet,
Vor lauter Sehn verliert des Auges Sinn;

121
So stand ich, zu dem letzten Glanz gewendet.

Da klang es: „Was nicht ist an diesem Ort,
Was suchst du’s hier, und stehst drum hier geblendet?

124
Mein Leib ist jetzt noch Erd’ auf Erden dort,

Und bleibt’s mit Andern, bis die sel’gen Schaaren
Die Zahl erreicht, gesetzt vom ew’gen Wort.

127
Zum Himmel sind zwei Lichter nur gefahren,[4]

Bekleidet mit dem doppelten Gewand:
Und dieses laß einst deine Welt erfahren.“

130
Als dieses Wort gesprochen war, da stand[5]

Der Kreis der Flammen still, sammt dem Gesange,


  1. 112. Pelikan. Dieser Vogel soll, wenn seine Jungen von einer Schlange getödtet worden, sich selbst mit seinem Schnabel in der Seite verwunden, um sie mit seinem Blute wieder in’s Leben zu bringen. Daher hier unser Pelikan, für Christus, [ein sehr gebräuchlicher Ausdruck in der Mystik des Mittelalters.]
  2. 113. Johannes erhielt vom Kreuze herab den Befehl Christi, an seiner Statt Mariens Sohn zu sein.
  3. 115 ff. Aus den Worten Christi Ev. Johannis Kap. 21 V. 22: „So ich will, daß er bleibe bis ich komme, was gehet es dich an?“ und dem, was im heiligen Texte nachfolgt, haben mehrere Ausleger der Schrift gefolgert, daß Johannes bis zum Weltgericht nicht sterben könne. Dante sieht daher neugierig hin, um zu erforschen, ob er hier mit dem Körper sei. Beatricen aber, welche von der Wahrheit unterrichtet ist, kann dies keine Veranlassung zu besonderer Aufmerksamkeit sein.
  4. 127. Zwei Lichter, Christus und seine Mutter. [Par. 23, 104. 119]
  5. 130. Die Kreisbewegung und der Gesang, zu welchem die aus den Flammen wehenden Töne der drei Heiligen sich verbunden hatten, hören so genau in demselben Augenblick auf, wie der Ruderschlag auf das gegebene Zeichen. Auch hier, wie anderwärts, deutet diese Uebereinstimmung auf völlige Gleichheit des Willens.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 554. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_554.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)