Seite:Dante - Komödie - Streckfuß - 552.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
64
Dem Schüler gleich, der seinem Meister frei

Entgegenkommt, und freudig und besonnen,
Daß, was er weiß, kund in der Antwort sei,

67
Sprach ich: „„Die Hoffnung ist der künft’gen Wonnen[1]

Erwartung und gewisse Zuversicht,
Durch Gnad’ und früheres Verdienst gewonnen.

70
Von vielen Sternen kam mir dieses Licht;

Der höchste Sänger macht es mir entbrennen,[2]
Der im Gesang vom höchsten Horte spricht.““

73
„O, alle die, so deinen Namen nennen,

Hoffen auf dich“ – so sang der Gottesmann –
„Und wer, der glaubt, wie ich, sollt’ ihn nicht kennen?

76
Du träufeltest mir seine Tropfen dann

In’s Herz durch deinen Brief mit solchem Regen,
Daß ich die Flut auf Andere gießen kann.“[3]

79
Indem ich sprach, sah ich’s im Licht sich regen,

Und wie ein Blitz, schnell und vom Glanz umsprüht,
Mit zitterndem Gefunkel sich bewegen.

82
„Die Liebe,“ weht’ es, „die mich noch durchglüht

Für jene Tugend, welche mir durch’s Grauen
Des Kampfs gefolgt, bis mir die Palm’ erblüht,

85
Heißt mich durch sie dich letzen und erbauen,

Und gern vernehm’ ich dieses noch von dir:
Auf was heißt deine Hoffnung dich vertrauen?“

88
„„Die alt’ und neuen Schriften zeigen mir,““

Sprach ich, „„das Ziel, das denen Gott bescheidet,[4]


  1. [67 – 69 wird nun weiter die erste –, 70 – 78 die dritte der, in V. 46 ff. gestellten, Fragen beantwortet. In Beantwortung der ersten folgt der Dichter der Definition des Peter Lombardus (Sententiae III.). Die „früheren Verdienste“ sind willige Annahme und treue Verwendung der Gnade, welche ja auf freie Geister einen zwingenden Einfluß nicht ausübt, Ges. 29, 66. In Beantwortung der dritten ist zu beachten, wie D. die Hoffnung auf den Glauben gründet V. 75. – Die citirte Jacobusstelle ist Kap. 1, V. 12. Während endlich ein allgemeiner Glaube an Gott auch aus der Vernunft quillt, Ges. 24, 133, so kommt Hoffnung nur aus der Offenbarung, der h. Schrift V. 88.]
  2. [71 ff. David, Ps. 9, 11.]
  3. 78. Daß ich auch in Andern die Hoffnung entflammen kann. [V. 45]
  4. [89. 90. Die Worte des Originals gestatten, durch doppelte Interpunktion [553] einen doppelten Sinn: Ed esso lo mi addita. 1) Entweder: „und es, das Ziel, giebt’s mir kund,“ nämlich, daß es das Ziel ist. D. h. das, von der h. Schrift vorgesteckte Ziel der Seligkeit offenbart sich hier oben durch sich selbst als solches. Diese Auffassung hat Streckfuß nach Lombardi. Sie schließt aber eine Tautologie in sich. 2) Oder: „und er – gieb mir’s kund,“ d. h., nach vorangehendem Punkt: „und Jacobus fuhr fort: „nenne mir das Ziel!“ So Witte u. a.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 552. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_552.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)