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100
Du staunst beim ersten und beim fünften Leben

In meiner Brau’, und nennst es wunderbar,
Daß beide hier in hellem Glanze schweben.

103
Als Christen, nicht als Heiden, starb dies Paar.

Der glaubt’ an’s Leiden, das schon eingetroffen,
Der Zweit’ an das, das noch zu dulden war.[1]

106
Der ist vom Höllenschlund, der nimmer offen

Zur Rückkehr war, zum Leib zurückgekehrt,
Und dies verdankt er nur lebend’gem Hoffen;

109
Lebend’gem Hoffen, das von Gott begehrt,[2]

Ihn zu befreien aus des Todes Banden,
Damit er lebe, wie das Wort gelehrt.

112
Und die ruhmwürd’ge Seele kehrt’ erstanden

Auf kurze Zeit zum Leib, und glaubt’ an Ihn,
Deß Allmacht auf ihr Flehn ihr beigestanden,

115
Und fühlte, glaubend, sich so hell erglühn

In wahrer Liebe, daß sie dieser Wonnen
Bei ihrem zweiten Tode werth erschien.

118
Der Zweit’, aus Gnade, die so tiefem Bronnen

Entquollen ist, daß nie die Creatur


  1. [105. Fides implicita.]
  2. [109. „Lebendgem Hoffen“, zunächst Gregors, nach der, zu V. 44–48 bemerkten Legende, die hier D. benützt. Dem Wortlaute nach wurde als Trajan, der nachchristliche Heide, durch fremde Vermittlung und eine in Folge hiervon gestattete Rückkehr auf die Erde zu einem zweiten, christlichen Leben, der Seligkeit theilhaftig. Der vorchristliche Ripheus dagegen, wie wir gleich hören werden, erhob sich im ersten Erdenleben – freilich durch das Geschenk der unergründlichen, vorlaufenden Gnade V. 118 ff. – in seiner natürlichen Gerechtigkeitsliebe zu einer fides implicita, die Gott gnädig ansah, V. 121–123. Er war damit innerlich los vom Heidenthum, V. 124–126; und weil darin auch Liebe und Hoffnung lagen, so konnten „dies’ drei“ bei ihm der Taufe Stelle vertreten, V. 127–130. – Es läßte sich nun fragen, ob Dante mit der Bekehrungsgeschichte Trajans durch Gregor, einen andern, dem das Ripheus ähnlichen, Rettungsweg für die frommen Heiden nach Christo habe ausschließen wollen? Wir glauben dies verneinen zu müssen. Denn so gewiß unser Dichter das Seligwerden nach Christo für viel schwieriger hält als vorher, so scheint doch jene Annahme seinem ganzen, auf der Betonung des eigenen Hoffens und Strebens basirten System, ja den unmittelbar vorangehenden Versen 76 ff. und 94 ff., welche auf dasselbe hinauslaufen, zu widersprechen.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 523. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_523.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)