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Und die stieg mehr, und minder die empor,[1]
Wie sie die Sonne trieb, aus der sie stammen.

106
Als jed’ an ihrer Stelle war, verlor

Sich das Gewühl – da trat in Flammenzügen
Der Kopf und Hals von einem Adler vor.

109
Der dorten malt, weiß selbst sich zu genügen;[2]

Ihn leitet nichts; die Kraft entstammt durch Ihn,
Draus in den Nestern sich die Formen fügen.

112
Die andre Schaar, die erst befriedigt schien,

Das M bekrönend mit dem Lilienkranze,
Fügte sich, leicht bewegt, zum Ganzen hin.

115
So sah ich, schöner Stern, der Himmel pflanze

In uns die Keime der Gerechtigkeit,
Der Himmel, den du schmückst mit deinem Glanze.

118
Zum Geist, der Kraft dir und Bewegung leiht,[3]

  1. 104. Wie Gott in dem Reiche, dessen Bild durch den Adler dargestellt wird, sie höher oder niedriger stellte, und wie sie daher auch hier höher oder niedriger flogen, um den Platz einzunehmen, den jede nach der allgemeinen Anordnung einnehmen mußte, damit aus Allen der Adler sich bilde.
  2. [109–111. Gott, der himmlische Maler, braucht zu seinen Werken kein Vorbild. – Die folg. Verse aber sind eine crux der Auslegung. Manche denken bei den „Nestern“ an wirkliche Nester, deren Keime Gottes Schöpferkraft belebe. Dies erscheint jedoch dem poetischen Gedanken allzusehr zuwider. Schon Cesari weist auf die Sterne als „Nester“ hin. Und erinnern wir uns an die in Ges. 13, 52 ff. und sonst entwickelte Schöpfungstheorie, so scheint es in der That am Plausibelsten, den D. so verstehen: in den Sternen liegen durch Gottes erste Kraft die Urbilder der irdischen Dinge, die dann unter ihrem Einfluß entstehen. Sie sind die Principien, die „Nester“. So der Jupiter das des Adlers, der Gerechtigkeit. Dies wird ja in V. 115 ff. noch ausdrücklich gesagt, aus welchen Versen wir dann zugleich ersehen, weshalb die zu V. 91 genannte Classe von Seligen gerade in diesem Stern sich befinde.]
  3. 118 ff. Der Dichter kann diese Gelegenheit nicht vorbeigehen lassen, ohne, als Ghibellin, das zu rügen, was Veranlassung gab, daß man [510] zu seiner Zeit die Gerechtigkeit nicht achtete, die gebot, das Alle, auch der Papst selbst, dem Kaiser, als weltlichem Herrn, gehorchen sollten. [Dies ist die Verwendung kirchlicher Gnadenschätze und Strafmittel, um politischen Druck auszuüben.] Um den Feind zu demüthigen, entzieht der Papst bei Excommunicationen die Sacramente, namentlich das Abendmahl. (V. 128. 129.) Insbesondere wird hier Papst Bonifaz der Achte, welcher Kirchenstrafen nur dictirt, um sie für baares Geld zurückzunehmen, ermahnt, er möge glauben, daß Paulus und Petrus noch lebten und ihn strafen könnten. Doch giebt Dante selbst zu, daß diese Ermahnung überflüssig sei, da, wenn der Papst nur Johannem den Täufer auf den florentinischen Goldgulden habe, er sich um Paulus und Petrus nicht weiter kümmere.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 509. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_509.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)