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Hielt ich mit meinen Lehren jetzo ein,

So würdest du die Frage nicht verschieben:
Wie konnt’ ein Dritter ohne Gleichen sein?

91
Doch, daß erscheine, was versteckt geblieben,

So denke, wer er war, und was zum Flehn,
Als ihm gesagt ward: „Bitt’!“ ihn angetrieben.

94
Aus meiner Rede konntest du ersehn:[1]

Als König fleht’ er um Verstand, beflissen,
Damit dem Reiche gnügend vorzustehn –

97
Nicht um der Himmelslenker Zahl zu wissen,

Nicht, ob Nothwend’ges und Zufälligkeit
Nothwendiges als Schluß ergeben müssen;

100
Nicht, was, zuerst bewegt, Bewegung leiht,

Nicht, ob ein Dreieck in dem halben Kreise
Noch anderen, als rechten Winkel, beut. –

103
Was ich gemeint, erhellt aus dem Beweise.

Du siehst, ein Seher sonder Gleichen war
Durch Königsklugkeit jener hohe Weise.

106
Auch ist mein Wort: dem nie ein Zweiter, klar;

Von Kön’gen sprach ich nur an jenem Orte,
Die selten gute sind, ob viele zwar.

109
Mit diesem Unterschied nimm meine Worte,

Daß nicht im Streit damit dein Glaube sei
Vom ersten Vater und von unserm Horte. –

112
Und dieses leg’ an deine Füße Blei,

  1. 94–111. Dennoch ist das wahr, was Thomas gesagt hat; denn er hat den Salomo nicht mit jenen Beiden, mit welchen er nicht verglichen werden konnte, sondern mit Seinesgleichen in Vergleichung gestellt. Als ihm nämlich Gott im Traum erschien, und sagte: Bitte, was ich dir geben soll, da flehte er nicht um die Wissenschaften, welche V. 97–102 angedeutet sind, sondern er dachte an seine Pflicht als König, und bat Gott: Gieb deinem Knechte ein gehorsames Herz (die Vulgata übersetzt cor docile, ein gelehriges Herz), daß er dein Volk richten möge, und verstehen, was gut und böse ist. 1. Kön. 3. [Eben der dortige Ausdruck, „daß Deines Gleichen nicht gewesen ist noch sein wird“ und seine mögliche, falsche Auslegung, andrerseits der theologische Streit, über die Seligkeit oder Nichtseligkeit des Salomo als Juden – dies beides mag für Dante der Anlaß zu diesem Excurs über ihn und der daran geknüpften allgemeinen Warnung vor vorschnellem Urtheil gewesen sein.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 477. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_477.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)