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Uns rings umtanzt in Glut und Wonnedrang,

79
Da schienen sie wie Frau’n sich zu erweisen,[1]

Die horchend stehn, noch nicht gelöst vom Tanz,
Bis sie gefaßt das Maß der neuen Weisen.

82
„Wenn, wahre Lieb’ entzündend, dir der Glanz[2]

Der Gnade lacht, der sich durch Liebe mehret,“
So sprach ein Licht aus jenem Strahlenkranz,

85
„Wenn er in dir vervielfacht sich verkläret,

So, daß er dich empor die Stiege lenkt,
Die Niemand absteigt, der nicht wieder kehret,[3]

88
So würd’ der, welcher deinen Durst nicht tränkt’

Mit seinem Wein, so wenig Freiheit zeigen,
Als Wasser, das sich nicht zum Meere senkt.

91
Erfahren möchtest du, von welchen Zweigen

Des Kranzes Blumen sind, der feiernd sich
Um Sie schlingt, die dich stärkt, empor zu steigen.

94
Von Dominiks geweihter Schaar war ich,

Der solche Wege leitet seine Heerden,
Wo wohl gedeiht, wer nicht vom Wege wich.[4]

97
Man hieß mich Thomas von Aquin auf Erden,[5]

Und meines Meisters, meines Bruders Schein,
Albrechts von Köln, sieh rechts hier heller werden.[6]


  1. 79. Dieses Gleichniß deutet wahrscheinlich auf einen zu des Dichters Zeit gewöhnlichen Tanz, in welchem, ohne daß die Tänzer ihre Reihen verließen, von Zeit zu Zeit die Melodie oder der Rhythmus wechselte, welchen aufzufassen die Tänzer verweilten.
  2. 82–90.[WS 1] Da Gott dem Dichter so gnädig ist, und die Seligen in Gott diese Gnade und den Wunsch des Dichters nach Belehrung lesen, so können sie nichts Anderes wollen, als diesen Wunsch zu erfüllen. Ein anderer Wille würde von einem unfreien, den Seligen nicht natürlichen Zustande zeugen.
  3. 87. Niemand, der die Seligkeit des Himmels kennen gelernt hat, kann am Irdischen wieder Freude finden, sondern wird immer wieder seinen Geist zum Höchsten richten. [Dante’s eigene Seligkeits-Gewißheit liegt hierin.]
  4. [96. Vgl. Ges. 11. 122, ff.]
  5. [97. Thomas, Graf von Aquino in Unter-Italien, 1225–1274. Haupt-Scholastiker und theolog. Lehrer Dante’s.]
  6. [99. Albertus Magnus, 1193–1280, eigentlich Albrecht von Ballenstädt aus Lauingen an der Donau, ebenfalls Dominikaner, zuletzt in Cöln. Ein Mann von immensem Wissen, Thomas’ Lehrer.]

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Reihenfolge der vertauschten Anm. zu 82–90 und 87 korrigiert.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 457. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_457.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)