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Als ich zu Ihr voll Ehrfurcht mich gewandt,

Und so der Herrin Blick sich ausgesprochen
Daß ich mich sicher und befriedigt fand,

43
Schaut’ ich zum Licht, das mir in sich versprochen

So Großes hatt’, und sprach: „„Wer bist du, sprich!““
Den Ton vor großer Inbrunst fast gebrochen.

46
O wie vermehrte, wie verschönte sich

Der frohe Glanz in neuer Lust entglommen,
Bei meinem Wort – dann sprach er freudiglich:

49
„Zu früh ward eurer Erde ich entnommen;[1]

Verweilt’ ich mehr, dann wäre Vieles nicht
Vom Uebel, das noch über euch wird kommen.

52
Nur meine Freude birgt dir mein Gesicht,[2]

Nur sie verhüllt mich rings im Strahlenrunde,
So, wie den Seidenwurm die Seid’ umflicht.

55
Du liebtest mich, und wohl aus gutem Grunde;[3]

Denn lebt’ ich noch, gewiß, dir keimten jetzt
Nicht Blätter nur aus unserm Liebesbunde.

58
Der linke Strand, den Rhodanus benetzt,[4]

Nachdem er mit der Sargue sich verbündet,
Sah einst im Geist durch mich den Thron besetzt;

61
So auch Ausoniens Horn, wo, fest begründet,[5]

Bari, Gaëta und Crotona drohn,
Von wo im Meere Verd’ und Tronto mündet.

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Auch schmückte mich des Landes Krone schon,

  1. 49. Der hier sprechende Geist ist Karl Martell, erstgeborner Sohn Karls des Lahmen, Königs von Neapel. Schon bei Lebzeiten seines Vaters wurde er nach dem von seiner Mutter ererbten Rechte König von Ungarn, und würde nach dem Tode des Vaters auch das Königreich Neapel und die Provence geerbt haben. Allein er starb im Jahre 1295, früher als sein Vater, und seine Kinder wurden nach dem Tode Karls des Lahmen im Jahre 1309 gemäß dessen Testament von seinem Bruder Robert verdrängt, [einem gelehrten, zum Fürsten nicht berufenen Mann; daher V. 145 ff.]
  2. [52. Dies ist der letzte Stern, wo die menschlichen Züge der Seligen noch erkennbar sind. Vgl. 3, 60 und Anm. dort zu 49 ff.]
  3. [55 ff. Dante scheint große Hoffnungen auf Karl gesetzt zu haben.]
  4. 58. Der Theil der Provence, der dem Könige von Neapel gehörte.
  5. 61. Neapel, bezeichnet durch drei in verschiedenen Provinzen des Landes belegene Städte und zwei in die beiden Meere nach Westen und nach Osten sich ergießenden Flüsse.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 442. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_442.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)