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Sie allesammt in jenen Farben bunt,
Die Phöbe’s Gurt und Phöbus’ Bogen malen.

79
Nicht ward ihr Ende meinem Auge kund,

Doch sah ich, daß an beiden äußern Gränzen[1]
Zehn Schritt der erste von dem letzten stund.

82
Und wie ich also sah den Himmel glänzen,[2]

Da zogen drunter, Zwei an Zwei gereiht,
Zweimal zwölf Greise her in Lilienkränzen,

85
Und Alle sangen: „Sei gebenedeit[3]

Aus Adams Töchtern! Herrlich und gepriesen
Sei deine Huld und Schön’ in Ewigkeit.“

88
Und als nun die beblümten frischen Wiesen,

Die jenseit das Gestad’ des Bachs begränzt,
Die Auserwählten nach und nach verließen,

91
Sah ich, wie Stern um Stern am Himmel glänzt,[4]

Vier Thiere dort zunächst sich offenbaren.
Und jedes war mit grünem Laub bekränzt,

94
Und war versehn mit dreien Flügelpaaren,

Mit Augen ihre Federn ganz besetzt,
Die gleich lebend’gen Argus-Augen waren.

97
Nicht viel der Reime, Leser, wend’ ich jetzt

Auf ihre Form, denn sparsam muß ich bleiben,
Da Andres noch mein Sang sich vorgesetzt.

100
Laß von Ezechiel sie dir beschreiben;

  1. 80. 81. Der erste und siebente dieser Lichtstreifen schienen nur zehn Schritte von einander entfernt zu sein – Hindeutung auf die zehn Gebote, innerhalb deren die Pflichten liegen, durch deren Erfüllung der Mensch sich der Gaben des heiligen Geistes würdig macht.
  2. [82 ff. Unter diesen 24 Greisen, welche er ebenfalls der Offenbarung, Cap. 4, 4, entnimmt, versteht Dante nach dem ganzen Zusammenhang die 24 Bücher des alten Testaments (nach hebräischer Zählung, ohne die Apokryphen.) – Sie sind mit Lilien bekränzt zum Zeichen der reinen Lehre, welche jene Bücher enthalten.]
  3. 85. Hindeutung auf die Prophezeiungen von Christi Geburt, die in den Büchern des alten Testaments enthalten sind.
  4. 91. Die vier Evangelisten, nach Ezech. 1 und Offenb. 4. – Das grüne Laub, mit welchem die Thiere bekränzt sind, deutet entweder auf die Hoffnungen, die sie erwecken, oder darauf, daß sie unwandelbar jung bestehen werden – die drei Flügelpaare auf ihren Flug durch Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – die Augen auf die in dem Evangelien herrschende, Alles durchblickende Wahrheit.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 364. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_364.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)