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64
Grad durch den Felsen ging der Weg hinauf,

Und, ostwärts steigend, hielt vor meinen Tritten[1]
Ich die schon matten Sonnenstrahlen auf.

67
Und als wir wenig Stufen aufgeschritten,

Bemerkten wir am Schatten, der verging,
Sol, uns im Rücken, sei in’s Meer geglitten.[2]

70
Eh’ gleiches Grau den Horizont umfing

In allen seinen unermeßnen Theilen,
Eh’ Nacht um Alles ihren Schleier hing,

73
Da mußt’ auf einer Stufe Jeder weilen,

Die uns zum Bett ward, denn die Zeit benahm
Die Macht mehr, als die Lust, empor zu eilen.

76
Gleich wie die Ziegenheerde, satt und zahm,[3]

Im Schatten wiederkäut in stillem Brüten,
Die hungrig, jähen Sprungs zur Höhe kam.

79
Wenn nun im Mittagsbrand die Lüft’ entglühten,

Indeß der Hirt den Stab zur Stütze macht,
Und dorten steht, gestützt, um sie zu hüten;

82
Und wie ein Hirt im freien Feld bei Nacht,

Damit kein wildes Thier der Heerde schade,
Und sie zerstreut, entlang der Hürde wacht;

85
So jetzt wir drei auf engem Bergespfade,

Der Zieg’ ich gleich, den Hirten jenes Paar,
Umschlossen hier und dort vom Felsgestade.


  1. [65. Der Leser kann nun den ganzen Ringweg am Fegefeuerberg herum, den die Dichter durchmessen, zusammenfassen. Sie sind vom Gestade aus vorwiegend westlich aufwärts bis zur Pforte, Ges. 9, vorgedrungen, von da aus allmälig nord-west-südlich über Treppen und Ringwege um den halben Berg herum durch die sieben Kreise gewandelt und nun auf der andern Seite gerade gegenüber von der Landungsstelle angelangt. Es bedarf also nun noch der letzten Treppensteigung wieder in östlicher Richtung, um „ans Gestad“ der obern Terrasse zu kommen, welche das Paradies darstellt. – Der volle Halbkreis des Bergs, den sie damit von Ost nach West umschrieben haben, wird dem Leser hieraus auch ohne Zeichnung klar sein, sowie, daß diese Umschreibung, wegen der allemal wieder rechtwinklig aufwärts führenden Treppen, in unterbrochener Zickzacklinie geschah.]
  2. [69 ff. Wer je von einem hohen Punkte das Hinabsinken der Sonne ins Meer und das allmälige Abdämmern der Welt in weiter Runde gesehen, wird diese wenigen Verse außerordentlich plastisch finden.]
  3. [76–87. Ein wahrhaft idyllisches Gemälde von wohlthuendster Wirkung.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 350. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_350.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)