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109
Und schon, da ich zur letzten Marter kam,[1]

Indem wir, rechts gewandt, die Schlucht verließen,
Ward ich auf das, was dort war, aufmerksam.

112
Den Felsen sah ich Flammen vorwärts schießen,[2]

Der Vorsprung aber haucht empor zur Wand
Windstöße, die zurück die Flammen stießen.

115
Wir mußten einzeln gehn am freien Rand,[3]

Und ängstlich hört’ ich hier die Flamme schwirren,
Indeß sich dort ein tiefer Abgrund fand.

118
Mein Führer sprach: „Hier laß dich nichts verwirren,

Und halte straff der schnellen Augen Zaum,
Denn leicht ist’s hier, mit einem Tritt zu irren.“

121
Gott höchster Gnade, hört’ ich’s aus dem Raum,[4]

Den jene große Glut erfüllte, singen,
Und hielt den Blick an meinem Wege kaum.[5]

124
Ich sah dort Geister, die durch’s Feuer gingen

Und sah auf meinen bald, bald ihren Gang,
Und ließ den Blick von hier nach dorten springen.

127
Ich weiß von keinem Mann – dies Wort erklang

Mit lautem Ruf, als jenes Lied verklungen,


  1. 109. Die letzte Marter, der siebente und letzte Kreis der Büßenden.
  2. 112. Denken wir uns unter dem Sturm den unreinen Trieb und unter den Flammen die wahre, echte Liebe, die zum ersten Gute (vgl. Ges. 17 V. 91 ff.), welche, wenn sie zuerst in einem der falschen Liebe hingegebenen Gemüthe entsteht, dasselbe so lange, bis es die letztere abgelegt hat, peinigen und nagen muß. Aber eben diese echte Liebe reinigt am sichersten von der falschen, da beide neben einander nicht bestehen können.
  3. 115. Der schmale Pfad zwischen dem Feuer und dem Abgrunde wird nach obiger Deutung ebenfalls leicht zu erklären sein.
  4. 121. Summae Deus Clementiae, Anfang einer Hymne, welche die Kirche am frühen Morgen singt, um Gott zu bitten, daß er jede sündliche Glut unterdrücken und die Herzen mit seinem heiligen Feuer erwärmen möge.
  5. 123. Im Orig. Che di volger mi fe caler non meno – wörtlich: welche (die Glut) machte, daß ich mir nicht minder angelegen sein ließ, mich zu wenden. Der Weg war nach V. 115 – 120 schwierig und gefährlich, ein Fehltritt leicht. Dennoch reizte den Dichter der Anblick der Flamme so, daß er sich nicht halten konnte, statt auf den Weg zu sehen, sich nach ihr hinzuwenden. Nach V. 124 theilt er dann seinen Blick zwischen dem Wege und der Flamme mit den, in solcher befindlichen Geistern.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 341. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_341.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)