„Herr, meine Lippen,“ klang’s mit einem Stöhnen,[1]
Das mich zugleich mit Lust und Leid durchdrang.
Ich rief’s und Er drauf: „Schatten sind’s, die nun
Für einst versäumte Pflicht den Herrn versöhnen.“
Die Leut’ einholen, welche sie nicht kennen,
Und sich zwar umsehn, doch nicht stehn und ruhn;
Ein frommer Haufe, lief vorbei und schaut’
Uns staunend an, um schweigend fortzurennen.
Erschienen sie, die Hagern, die Erblaßten,
Die Knochen alle sichtbar durch die Haut.
So ausgetrocknet nicht Erisichthon,
Als nun sein eignes Fleisch die Zähn’ erfaßten.
Die einst Jerusalem verloren haben,
Wo selbst die Mutter fraß den eignen Sohn.
Das einem Ringe sonder Gemme glich,
Und Nas’ und rings die Knochen scharf erhaben.
Zurichten könn’ und Duft von einer Quelle,
Begier erzeugend, wer wohl dächt’ es sich?
- ↑ 11. Psalm 51, V. 17: Herr, thue meine Lippen auf.
- ↑ 25. Erisichthon, von der Ceres, die er verachtete, mit unersättlichem Heißhunger bestraft, zehrte sich am Ende selbst auf.
- ↑ 31. Hier ist im Original ein Bild angebracht, das der Uebersetzer, um die Leser nicht dessen zu berauben, in der Anmerkung wiedergeben will, da er es im Texte auf eine dem Style des Ganzen entsprechende Art nicht wiederzugeben wußte. Es heißt im Original: Wer im Menschenantlitz omo liest, hätte das M dort wohl erkannt. Die beiden O nämlich werden von den Augen, das M aber wird von dem hohen Rande der Augenhöhlen bis zu den Backenknochen herab, und von der Nase, an welche jener Rand nach innen zu von beiden Seiten sich anschließt, gebildet; und dieses M muß um so deutlicher hervortreten, je magerer ein Gesicht ist.
- ↑ [34 ff. S. V. 61 ff.]
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_326.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)