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Und sahn umher, das Weitre zu erkunden.

118
Die fünfte Dienerin des Tages stand[1]

Am Wagen schon, um seinen Lauf zu leiten,
Der Deichsel Flammenspitz’ emporgewandt.

121
„Wir kehren, denk’ ich, unsre rechten Seiten,

Begann mein Herr, „zum freien Rande hin,
Um, wie wir pflegen, um den Berg zu schreiten.“

124
So ward Gewohnheit uns’re Führerin;

Auch Statius winkte Beifall dem Genossen,
Drum gingen wir mit sorgenfreiem Sinn,

127
Sie mir voraus, ich einsam, unverdrossen,

Ging hinterdrein, den Reden horchend, fort,
Die meinem Geist der Dichtung Tief’ erschlossen.

130
Doch machte bald der Dichter süßes Wort[2]

Ein Baum mit würzig duft’gen Aepfeln schweigen.
Inmitten unsers Weges stand er dort;

133
Und wie die Tann’ aufwärts, von Zweig zu Zweigen,

Sich enger abstuft, so von Sproß zu Sproß
Er niederwärts, erschwerend das Ersteigen.

136
Auf jener Seite, wo der Weg sich schloß,

Fiel klares Naß vom hohen Felsensaume,
Das auf die Blätter sprühend sich ergoß.

139
Da nahte sich das Dichterpaar dem Baume,

Aus dessen Zweigen eine Stimm’ erscholl:


  1. 118. Die fünfte Dienerin des Tags, die fünfte Stunde vom Aufgange der Sonne an gerechnet. Es war also noch nicht Mittag und die Sonne stieg noch aufwärts, [und die Wanderer sind, die Felsenspalte herauf, wieder am Ringweg angelangt.]
  2. 130. In diesem Kreise läutern sich die Schwelger. Wir sehen sie im folgenden Gesange V. 22 ff. ganz abgemagert und entstellt. Die übermäßige Gier nach irdischer Nahrung versetzt die Seele in den kümmerlichsten Zustand und leitet sie von dem Streben nach dem wahren und echten Genusse ab. Diesen wahren Genuß bietet der Baum, nach dessen würzigen Früchten die Büßenden hier vergeblich ringen, der von unten schwer zu ersteigen, von geringem Umfange ist, aber nach oben hin immer weiter sich ausbreitende Aeste zeigt, und dessen Laub und Frucht durch das ewig von oben herabkommende klare Naß erfrischt wird. Mehrfache allegorische, moralische und religiöse Deutungen dieses Baumes wird der Leser selbst leicht finden. [Vgl. 23, 61 ff.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 324. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_324.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)