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Die Iokasten Gram zu Gram gefügt,“
Sprach Jener, dem das Hirtenlied gelungen,

58
„War, wenn, was Klio aus dir singt, nicht trügt,

Nicht durch den Glauben noch dein Herz gelichtet,
Bei dessen Mangel keine Tugend gnügt.

61
Nun, welche Sonne hat die Nacht vernichtet,

Welch irdisch Licht, daß du an deinem Kahn
Die Segel dann, dem Fischer nach, gerichtet?“[1]

64
Und Er: „Du zeigtest mir zuerst die Bahn

Zu dem Parnaß und seinen süßen Quellen,
Und warst mein erstes Licht, um Gott zu nahn.

67
Dem, der bei Nacht geht, warst du gleich zu stellen,[2]

Dem seine Leuchte selbst kein Licht verleiht,
Um hinter ihm die Straße zu erhellen,

70
Indem du sprachst: „Erneuert wird die Zeit,

Ich seh’ ein neu Geschlecht vom Himmel steigen
Und Ordnung herrschen und Gerechtigkeit.“

73
Durch dich ward mir der Ruhm des Dichters eigen;

Durch dich ward ich den Christen beigesellt;
Wie? soll sich dir in klarem Bilde zeigen.

76
Von wahrem Glauben schwanger war die Welt

Schon überall; es streuten diesen Samen
Die Boten ew’gen Reichs ins weite Feld.

79
Mit deinem jetzt berührten Worte kamen

Die neuen Pred’ger sämmtlich überein.
Drum folgt’ ich denen, die ihr Wort vernahmen.

82
Sie schienen mir so heilig und so rein –

Und als sie Domitian verfolgte, machten
Mich weinen ihre Klag’ und ihre Pein.


  1. [63. Der Fischer = Petrus, die Kirche.]
  2. 67. Virgil, selbst nicht gläubig, erweckte doch den Glauben in Statius durch folgende Verse, auf welche V. 70–72 sich bezogen ist:
         Magnus ab integro saeclorum nascitur ordo,
         Iam redit et virgo, redeunt Saturnia regna
         Iam nova progenies coelo demittitur alto.
    Die hohe Achtung, in welcher Virgil stand, hat in den ersten Zeiten des Christenthums, noch mehr später Veranlassung dazu gegeben, daß diese Verse als eine wirkliche Prophezeiung angesehen wurden. Vergl. Anm. zur Hölle Ges. 1 V. 62. [Die Belehrung des Statius selbst ist völlig unhistorisch.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 322. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_322.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)