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Der Reinheit Prob’ ist dieser Will’ allein;

Frei, treibt er sie, zum Zuge sich zu rüsten,
Und er verleiht ihr sicheres Gedeihn.

64
Lang möchte sie, doch fühlt’ auch, mit Gelüsten

Nach läng’rer Qual, daß, nach Gerechtigkeit,
Die, so einst sündigten, erst leiden müßten.

67
Ich lag fünfhundert Jahr’ in diesem Leid

Und länger noch, und fühlte mir so eben
Zum Aufwärtsziehn den Willen erst befreit.

70
Drum fühltest du den ganzen Berg erbeben,

Drum pries den Herrn die ganze fromme Schaar;
Er helf’ ihr bald, sich selber zu erheben.“

73
Sprach’s, und je heißer die Begierde war,

Je mehr fühlt’ ich vom Tranke mich erquicken,
Und fühlte mich gestärkt und frei und klar.

76
Virgil drauf: „Welche Netz’ euch hier umstricken,

Wie ihr entschlüpft, was durch den Berg gezückt,
Was Jubeltön’ empor die Seelen schicken,

79
Das hat dein Wort mir deutlich ausgedrückt;

Jetzt sage mir: Wer bist du einst gewesen?
Und was hat hier so lange dich gedrückt?“

82
Drauf Jener: „Damals als das höchste Wesen,[1]

  1. 82 ff. Publius Statius, irrthümlich von Dante als ein Tolosaner bezeichnet, wurde in Neapel geboren, und war Zeitgenosse des Titus. Noch sehr jung kam er nach Rom und erwarb sich durch seine Dichtungen mehrmals den Preis im poetischen Wettstreit und die Gunst Domitians. Sein Hauptwerk ist die Thebais, ein episches Gedicht, in welchem er die Eroberung von Theben besingt. Von einem zweiten, die Achilleis, hinterließ er nur ein Bruchstück, als er im fünfunddreißigsten Jahre seines Alters starb. Sein Styl ist, so weit es die zum Schwulst sich hinneigende Zeit erlaubte, dem der Aeneis nachgebildet.
    [Dieser Geist, vom Mittelalter überschätzt, und sogar, wie wir im folgenden Ges. sehen, für einen geheimen Christen gehalten, begleitet von nun an beide Dichter. Dies deutet immer bestimmter an, daß Virgils Mission sich ihrem Ende nähere, daß ihn allmälig christliche Lebens- und Vollendungs-Vorbilder zu ergänzen und abzulösen bestimmt seien. Vgl. 3, 52 und Anm.; 18, 46; 21, 33; endlich demnächst 27, Schluß.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 317. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_317.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)