Lieb’ ist es, ist Natur, die dem, was schön
Und reizend ist, sich hingiebt als ihm eigen.
Durch ihre Form bestimmt, dorthin zu streben,[1]
Wo ihre Stoffe minder schnell vergehn,
Der geistigen Bewegung, die nicht ruht,
Bis, was er liebt, sich zum Genuß ergeben.
Die, lehren wollend, noch den Irrwahn hegen,
Jedwede Lieb’ an sich sei recht und gut.
Doch sei das Wachs auch echt und gut, man preist
Das Bild, drin abgedrückt, noch nicht deswegen.“
Sie lassen mich der Liebe Wesen sehen,
Obgleich der Geist noch zweifelsschwanger kreist.
Lenkt die Natur die Seele, wie ist’s dann
Verdienstlich, ob wir krumm, ob grade gehen?““
So Er, „dort stellt Beatrix dich zufrieden,
Denn jenseits fängt das Werk des Glaubens an.
Vom Stoff und ihm vereint, und eine Kraft
Die ihr nur eigen ist, ist ihr beschieden.
Durch Wirkung nur sich zeigen und bewähren,
Wie durch das Laub des Baumes Lebenssaft.
Woher zuerst in ihm Begriff’ entstehn,
Woher das erste Sehnen und Begehren.
Die Bien’ erhielt, so habt ihr es erhalten,
Das nicht zu loben ist und nicht zu schmähn.
- ↑ 29. Dorthin nach der Wölbung des Mondhimmels, wo nach der Physik jener Zeit das Element des Feuers seine Sphäre hat.
- ↑ [46. Wie weit Vernunft hier schauen kann;“ der Leser bemerke diese Cardinalstelle über Berechtigung und Beschränkung der [299] Vernunft im Dante’schen System, beziehungsweise über Virgils Stellung, Bedeutung und Schranke in der göttl. Kom. Vgl. auch Anm. zu Hölle Ges. 1, 1, 62 ff. Ges. 2. Fegef. Vorbemerkung.]
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 298. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_298.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)