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13
Schnell deckt’ ich mir die Augen mit den Händen,[1]

Als wie mit einem Schirm, daß vor der Glut
Die schwachen Blicke Schutz und Ruhe fänden.

16
Gleichwie der Strahl vom Spiegel, von der Flut

Zurückprallt, nur, um wieder aufzusteigen,
Und dies so, wie er eingefallen, thut,

19
Weil er von Linien, die sich senkrecht neigen,

So hier, wie dort abweicht in gleichem Zug,
Wie uns die Kunst und die Erfahrung zeigen:

22
So ward mein Auge jetzt in jähem Flug

Getroffen vom zurückgeworfnen Lichte,
Drob ich’s in Eile schloß und niederschlug.

25
„„Was, süßer Vater, ist dies? dem Gesichte

Will, was ich thue, nicht zum Schutz gedeihn.
Es scheint, als ob der Glanz hierher sich richte!““

28
Drauf Er: „Nicht staune, wenn in solchem Schein,[2]

Noch blendend dir des Himmels Diener nahen.
Ein Bote kommt und läd’t zum Steigen ein.

31
Bald wird, was erst die Augen thränend sahen,

Dir so zur Lust, als du nur Fähigkeit,
Sie zu empfinden von Natur empfahen.“

34
Der Engel sprach zu uns voll Freudigkeit:

„Geht dorten ein auf minder schroffen Stiegen,[3]
Als jene sind, die ihr gestiegen seid.“

37
Indem wir nun zusammen aufwärts stiegen,

Sang’s hinter uns: „Heil den Barmherz’gen, Heil!“
Und wieder klang’s: „Sei froh in deinen Siegen!“[4]


  1. 13–24. [Dante will sagen, daß er vergeblich die Hand vor das senkrecht einfallende Licht gehalten. Denn es wird von unten in gleichem Winkel wieder ihm zurückgeworfen, nach dem Gesetz, daß der zurückgeworfene Strahl mit einer, auf die zurückwerfende Strecke gefällten, senkrechten Linie („Fall des Steins“ im Original) denselben Winkel bildet, wie der einfallende.
  2. 28–31. Alle Lust, zu welcher die Natur dich nur fähig gemacht hat, wirst du künftig empfinden, wenn dein gestärktes Auge das erblickt, was dich jetzt noch blendet.
  3. 35. Schon nach den ersten Fortschritten zur Reinigung von der Sünde scheint der Weg zum weiteren Steigen minder steil und beschwerlich.
  4. 39. Sei froh in deinen Siegen. Beziehung auf M. 5, 12: „Seid fröhlich und getrost, es wird euch im Himmel belohnt werden,“ [282] hier angewandt auf diejenigen, welche den Neid durch die Läuterung überwunden haben.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 281. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_281.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)