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Wie anders war es hier, als bei dem Gange

Durch’s Höllenreich. Bei Liedern klomm ich auf
Und dort hinab bei wildem Jammerklange.

115
Die heil’gen Stiegen klommen wir hinauf,

Und leichter schien mir’s hier, empor zu kommen,
Als erst auf ebner Bahn der leichtste Lauf.

118
„„Sprich, Meister, welche Last ist mir entnommen,““

So rief ich, da ich dies bemerkt, zuletzt,
„„Daß ich fast mühelos empor geklommen?““

121
Und Er: „Sind diese P, die zwar noch jetzt[1]

Dein Antlitz trägt, doch die schon halb verschwinden,
Erst, wie das Eine, völlig ausgewetzt,

124
Dann wird den Fuß dein Streben überwinden,

So daß ihm Klimmen keine Mühe macht,
Ja, Wonne wird er dann im Steigen finden.“

127
Da that ich Jenen gleich, die, sonder Acht,

Etwas mit sich am Haupte tragend, gehen,
Bis sie bemerkt, daß man sich winkt und lacht;

130
Drum sie die Hand gebrauchen, um zu spähen,

Mit dieser suchen, finden und damit
Zuletzt erschau’n, was nicht die Augen sehen.

133
Denn mit den ausgespreizten Fingern glitt

Ich an der Stirne hin und, sieh, vergangen
War eins der Zeichen, das der Engel schnitt.

136
Da schwebt’ ein Lächeln um des Meisters Wangen.
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  1. 121. Das erste P, die Sünde des Stolzes bezeichnend, ist verschwunden, seit der Engel (V. 98) des Dichters Stirn mit seinem Flügel berührt hat. Uebrigens verschwinden mit diesem Zeichen auch schon fast die anderen Zeichen (S. 122) von selbst, und lassen noch geringe Spur zurück, weil jedes andere Laster sofort deutlicher erkannt wird, folglich schon halb abgelegt ist, sobald wir vom Hochmuthe uns gereinigt haben. – Jedesmal verschwinden die P. unmerklich. Denn die Ablegung einer schlechten Neigung tritt nicht als ein einzelnes bestimmtes Ereigniß hervor, sondern als das Resultat der Betrachtung, Prüfung und Ueberzeugung, nach und nach, wie die Nacht in die Dämmerung und diese in den Tag übergeht. Daher bemerkt Dante nicht, daß das erste P durch das Wehen des Engelsflügels verschwunden, und weiß nicht, wie er wunderbar erleichtert ist.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 267. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_267.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)