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Dort unten erst und dringet nicht nach oben,

130
Wenn ihm nicht Hülfe gläubig Flehn verleiht,

Bis so viel Jahr’, als er gelebt, vergangen,[1]
Wie kam denn Er herauf in kürz’rer Zeit?““

133
Und Er: „Er ist auf Siena’s Markt gegangen[2]

Zur Zeit, da er den höchsten Ruhm erstrebt,
Hat dort gestanden, nicht von Scham befangen;

136
Nein, weil sein Freund in Carlo’s Haft gelebt,

Um Hülf’ ihm und Befreiung zu gewähren,
Hat er als Bettler zitternd dort gebebt.

139
Ich red’ unklar, doch wird’s nicht lange währen,

So handelt also deine Nachbarschaft,
Daß du vermagst, dir Alles zu erklären.

142
Die That hat jene Schrank’ ihm weggeschafft.“
_______________

Zwölfter Gesang.
Zum zweiten Kreise. Bilder am Ausgang. Der Engel nimmt dem Dichter das erste P. von der Stirn.

1
Gleichmäßig, wie zwei Stier’ im Joche ziehn,[3]

Ging ich dem schwerbeladnen Geist zur Seiten,
So lang’ es gut dem süßen Lehrer schien.

4
Doch als er sprach: „Laß ihn, um vorzuschreiten,

Hier gilt’s, so viel man immer kann, den Kahn


  1. [131. Aehnliche Doctrin Fegef. 3, 139.]
  2. 133. Einer der Freunde Salvani’s war von Carl von Anjou gefangen worden. Da Salvani das Lösegeld, welches für ihn gefordert wurde, nicht aufbringen konnte, stellte er sich bettelnd auf den Markt von Siena und nahm für ihn die Mildthätigkeit des Volkes in Anspruch. Wie man bettelnd und Hülfe suchend sich zu benehmen pflege, wird Dante, wie ihm hier der Schatten prophezeit, in seiner Verbannung bald selbst erfahren. Hierauf und auf den ungerechten Haß, mit welchem Florenz ihn verfolgte, ist V. 139 bis 141 hingedeutet.
  3. XII. 1. Man denke sich den Schatten, der hier erst lernt den stolzen Nacken zu beugen, von der Last tief niedergedrückt, und den Dichter, der freiwillig sich gleich tief beugt, um keines seiner Worte zu verlieren, und ihm beim Gespräch wo möglich ins Gesicht zu sehen, und man wird auch hier, wie an so vielen Orten, ein bewegtes Bild mit wenigen Worten meisterhaft ausgemalt finden.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 262. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_262.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)