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Und sprach: „Jetzt geh’, ihn flehend zu begrüßen,
Denn Er ist’s, der das Schloß dir öffnen kann.“

109
Demüthig sank ich zu des heil’gen Füßen,

Schlug dreimal erst auf meinen Busen mich,
Und bat ihn, aus Erbarmen aufzuschließen.

112
Mit seines Schwertes scharfer Spitze strich

Er sieben P auf meine Stirn und machte
Sie wund und sprach: „Dort drinnen wasche dich.“[1]

115
Noch, wenn ich Asch’ und Erdenstaub betrachte,

Seh’ ich des Kleides Farb’, aus welchem Er[2]
Mit seiner Hand hervor zwei Schlüssel brachte.

118
Von Gold war dieser und von Silber der.

Den weißen sah ich ihn, den gelben drehn,
Und sieh, verschlossen war das Thor nicht mehr.

121
Er sprach darauf: „Trifft einer von den zween

Im Schloß beim Umdrehn irgend Widerstand,
So bleibt die Thüre fest verschlossen stehen.


  1. [114. Das kirchliche Sacrament der Beichte und Absolution, welches nach Anm. zu V. 49 ff. nunmehr in Action tritt, wird in den vorangehenden Symbolen spezifizirt. Die drei Stufen bezeichnen die drei inneren Momente der Beichte: die Selbsterkenntniß (der spiegelglatte Marmor), die Zerknirschung (geborstener Stein), die Erfassung der Genugthuung im Blute Christi (Porphyr, V. 100). Der Pförtner ist das Priesterthum in seiner rein geistlichen Gewalt, in deren Ausübung allein es „auf der klaren, demantnen Schwelle sitzt V. 105“ d. h. auf dem unzerstörbaren Grund des Erlösungswerkes Christi ruht. Die Zeichnung der Stirn mit den sieben P (peccata) endlich bedeutet die, durch den Priester geschehende Lossprechung (Absolution) von den gethanen Sünden, welche nach kirchlicher Lehre als die sieben Todsünden aufgefaßt werden. Damit ist für die Seele der Eintritt durch’s Thor erlangt, welches zwei Schlüssel öffnen: der goldene, das Bild der dem Priester anvertrauten Lossprechungsgewalt; der silberne das Symbol der ihm hiezu nöthigen Prüfungsgabe (scientia discernendi). Schließlich hat dem Dichter der Zuruf: „dort drinnen wasche dich“ nämlich „von den 7 P.“, anzudeuten, daß nach der Vergebung und Rechtfertigung nun erst die innere Erneuerung und Ablegung der Sünde kommt d. h. desjenigen, was ihm, was jedem von uns, von jeder der Hauptsündengattungen anklebt. Daher Dante nun die sieben Kreise selbst büßend durchmacht, am Austritt aus jedem derselben ein P verlierend. – Damit hat der Leser im Zusammenhang den Gang der Handlung bis zu Ges. 28.]
  2. 116. [Erdfarben ist das Kleid des Pförtners d. h. Mensch, wie andere, ist trotz seines Amtes auch der Priester und soll dessen gedenken.]
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_250.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)