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Kaum war ich frei von allen jenen Schemen,

Die dort mich angefleht, zu flehn, daß sie
Zur Heiligung mit größrer Eile kämen;

28
Da sprach ich: „„Du, der stets mir Licht verlieh[1],

Hast irgendwo in deinem Werk geschrieben,
Den Schluß des Himmels beuge Flehen nie.

31
Doch hörtest du, wozu mich diese trieben.

Täuscht nun vielleicht die Hoffnung diese Schaar?
Ist unklar mir vielleicht dein Sinn geblieben?““

34
„Nicht täuscht sie Hoffnung, und mein Wort ist klar,“

So sprach er drauf, „du magst es nur betrachten
Mit hellem Geist, so wird dir’s offenbar.

37
Ist für gebeugt das strenge Recht zu achten,

Wenn das erfüllt der Liebe heißer Trieb,
Was Jenen oblag und sie nicht vollbrachten?

40
Da, wo ich jenen Grundsatz niederschrieb,

Da sühnte man durch Bitten keine Sünden,

Weil ungehört von Gott die Bitte blieb.
43
Doch kannst du jetzt so Tiefes nicht ergründen,

So harr’ auf Sie, die zwischen deinem Geist
Und ew’ger Wahrheit wird ein Licht entzünden.

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Beatrix ist’s, wenn du’s vielleicht nicht weißt,

Die Lächelnde, Beglückte, die zu sehen
Des hohen Berges Gipfel dir verheißt.“


  1. 28–42. Hindeutung auf den Vers Virgils (Aen. VI, 376):
    Desine fata deum flecti sperare precando.
    Als Aeneas den Palinurus in der Unterwelt aufgefunden hatte, bat ihn dieser:
    Da dextram misero et tecum me tolle per undas.
    Die Sibylle aber belehrte ihn mit den vorher erwähnten Worten über die Unstatthaftigkeit seiner Bitte. Da Palinurus in der Hölle war und nur fromme Bitten der Gläubigen von Gott erhört werden, so konnte, wie hier angedeutet ist, das Gebet des Aeneas dem Palinurus nicht helfen. – Bemerkenswerth ist, wie Dante sich hier und anderwärts bestrebt, die Aussprüche seines Meisters Virgil (folglich der Vernunft) in Uebereinstimmung mit den Lehren des Christenthums, ja selbst mit denen der Kirche zu finden. Wir werden in der Folge sehen, daß er [231] ihnen einen großen Einfluß auf die Bekehrung der Heiden zum Christenthume zuschreibt.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 230. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_230.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)