Denn wär’s gestattet, Alles zu erschau’n,
Nicht brauchte dann Maria zu gebären.
Dem doch die Sehnsucht, Alles zu erkunden,
Geblieben ist zu ewiglichen Grau’n.
Und Manchen sonst.“ – Er schwieg, die Stirn geneigt,[1]
Und alle Heiterkeit schien ihm geschwunden.
Dort oben ist der Fels so steil gelegen,
Daß sich kein Raum zu einem Tritte zeigt.
Inmitten Lerci und Turbia schmiegt
Sich sanft und leicht, stellt man ihn dem entgegen.
Der Meister sprach’s, und hielt jetzt ein im Schreiten,
„So daß auch der hinauf kann, der nicht fliegt?“
Und nahm im Geist des Pfades Prüfung wahr.
Doch ich sah aufwärts nach des Berges Seiten,
Die schien so langsam zu uns her zu schweben,
Daß kaum Bewegung zu bemerken war.
Die Rath ertheilen können, nahen schon,
Dafern du nicht vermagst, ihn selbst zu geben.““
- ↑ 44. Man wird sich nach Lesung des vorhergegangenen schönen Stelle erinnern, daß Virgil selbst sich im Vorhofe der Hölle bei denjenigen befindet, welchen nichts zur Seligkeit fehlt, als der Glaube.
- ↑ 49. 50. Lerici und Turbia, zwei Orte im Strandgebirge von Genua. Die ersten Schritte auf dem Wege zur sittlichen Freiheit sind schwer. Die Vernunft selbst weiß diesen Weg kaum zu finden, und ist schwankend und unsicher. [Der Leser bemerke hier, wie z. B. Gs. 4, 39 ff. u. ö., daß Virgil im Fegefeuer, zwar noch unentbehrlich, doch die frühere sichere selbstständige Stellung nicht mehr hat, oft die Seelen fragt etc. S. Vorbemerkung. Sein hoher, aber streng begrenzter Beruf ist, den Dante den kirchlichen Gnadenmitteln, welche die eigentlichen Läuterungskräfte sind, zuzuführen, was in Ges. 9 geschieht.]
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_214.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)