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16
So sah ich jetzt ein Licht – o säh’ ich’s mehr! –[1]

Und eilig, wie kein Vogel je geflogen,
Glitt’s auf des Meeres glattem Spiegel her.

19
Als ich von ihm die Augen abgezogen

Ein wenig hatt’ und zu dem Führer sprach,
Schien’s heller dann und größer ob den Wogen.

22
Dann auf des Lichtes beiden Seiten brach[2]

Ein weißer Glanz hervor, und bald erkannte,
Ich andres Weiß auch unten nach und nach.

25
Mein Meister, der nach ihm sich schweigend wandte,

Indem der Flügel erstes Weiß erschien,
Rief, wie er nun den hehren Schiffer kannte:

28
„O eile jetzt, o eile, hinzuknie’n!

Sieh, Gottes Engel! Falte deine Hände!
Nun siehst du Solche Gottes Wink vollziehen.[3]

31
Sieh, er verschmäht, was Menschenwitz erfände.

Nicht Segel, Ruder nicht – sein Flügelpaar
Braucht er zur Fahrt an’s ferneste Gelände.

34
Sieh, wie’s gen Himmel strebt so schön und klar!

Die Luft bewegt das ewige Gefieder,
Das nicht sich ändert wie der Menschen Haar.“

37
Und wieder naht er sich indeß und wieder

In hellerm Glanz, daß näher solchen Schein
Mein Auge nicht ertrug, drum schlug ich’s nieder.

40
Und leicht und schnell sah ich durch ihn allein

Das Schiff des Eilands niedern Strand gewinnen,
Auch drückt’ es kaum die Spur den Fluten ein.

43
Voll Seligkeit stand er vor meinen Sinnen,

Am Hintertheil des Schiff’s, der Steuermann,
Und mehr als hundert Geister saßen drinnen.

46
Als aus Aegypten Israel entrann,“[4]

  1. [16. Der Leser wird in der hohen poet. Schönheit der folgenden Stelle, 16 bis zum Schluß, gleich einen Beweis des in der Vorbemerkung Gesagten erkennen.]
  2. 22. Der hellste Glanz ist der des Angesichts, und dieser wird zuerst erkennbar, dann zeigt sich das lichte Weiß der beiden Flügel und zuletzt das des Gewandes.
  3. [30. – Engel, statt, wie in der Hölle, Teufel.]
  4. 46. Der Anfang des schönen 114ten Psalmen, welchen die Leser nachsehen mögen. Sie werden leicht erkennen, wie herrlich dieser Psalm [209] auf die Seelen angewandt ist, welche, gerettet aus der Sclaverei der Erde, der Freiheit zuziehen.
Empfohlene Zitierweise:
Alighieri, Dante. Streckfuß, Karl (Übers.). Pfleiderer, Rudolf (Hrsg.): Die Göttliche Komödie. Leipzig: Reclam Verlag, 1876, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Dante_-_Kom%C3%B6die_-_Streckfu%C3%9F_-_208.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)