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darinnen. Plötzlich aber entstand hinter den Fenstern eine starke Helligkeit, die eine Zeit lang in die kahlen Büsche des Gartens hinaus leuchtete und dann allmälig wieder verschwand. Mich überkam, während ich so im Dunkeln stand, eine unbestimmte Besorgniß, und, ohne mich lange zu bedenken, ging ich durch die Hinterthür in’s Haus und die Treppe nach Anne Lenes Zimmer hinauf.

Die Thür war nur angelehnt. Anne Lene saß an einem Tischchen mit den Füßen gegen den Ofen, in welchem ein helles Feuer brannte. Unter der Schnur eines Päckchens, das auf ihrem Schooße lag, zog sie einen Brief hervor; sie entfaltete ihn und schien aufmerksam darin zu lesen. Nach einer Weile bewegte sie die Hand ein wenig, so daß das Papier von der Flamme des neben ihr auf dem Tische stehenden Lichtes ergriffen wurde. Ihr Gesicht trug dabei einen solchen Ausdruck von Trostlosigkeit, daß ich unwillkürlich ausrief: „Anne Lene, was treibst Du da?“

Sie blieb ruhig sitzen, ohne sich nach mir umzuwenden, und ließ den Brief in ihrer Hand verbrennen.

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Theodor Storm: Auf dem Staatshof. Braunschweig: George Westermann, 1891, Seite 43. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Storm_Auf_dem_Staatshof_43.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)