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Scheu mich hinderte hineinzutreten, hörte ich in der Tiefe des Hauses eine Thür gehen, und bald darauf sah ich meinen Vater mit einem schwarz gekleideten Kinde an der Hand auf mich zukommen. Es war Anne Lene; ihre Augen waren vom Weinen geröthet, und über der schwarzen Florkrause erschienen das blasse Gesichtchen und die feinen goldklaren Haare noch um vieles zärtlicher, als sonst. Mein Vater begrüßte mich und sagte dann, indem er seine Hand auf den Kopf des Mädchens legte: „Ihr werdet jetzt Geschwister sein; Anne Lene wird als mein Mündel von nun an in unserem Hause leben, denn ihre Großmutter, Deine alte Freundin, ist gestorben.“

Ich hörte eigentlich nur den ersten Theil dieser Nachricht; denn die bestimmte Aussicht, nun fortwährend in Gesellschaft des anmuthigen Mädchens zu sein, erregte in meiner Phantasie eine Reihe von heiteren Vorstellungen, die mich den Ort, an welchem wir uns befanden, vollständig vergessen machten. Ich merkte es kaum, als Anne Lene ihre Arme um meinen Hals legte und mich küßte, während ihre Thränen mein Gesicht benetzten.

Einige Tage darauf fand das Leichenbegängniß

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Theodor Storm: Auf dem Staatshof. Braunschweig: George Westermann, 1891, Seite 20. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Storm_Auf_dem_Staatshof_20.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)