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Dem bedenklichen Egoismus fehlt nur die Anerkennung des unbedenklichen, um den Accent auf den Egoismus, statt auf die Bedenklichkeit, zu legen, und den Egoisten als den Ueberwinder zu erkennen, gleichviel ob er durch’s Denken oder durch Unbedenklichkeit überwindet.

Wird hierdurch etwa das Denken „verworfen“? Nein, nur seine Heiligkeit wird ihm abgesprochen, nur als {{SperrSchrift|Zweck oder Beruf wird es verneint; als Mittel wird es Jedem überlassen, der dieses Mittels mächtig ist. Zweck des Denkens ist vielmehr die Unbedenklichkeit, wie ja ein Denkender in jedem einzelnen Falle mit seinem Denken darauf ausgeht, endlich den richtigen Punkt zu finden, oder des Nachdenkens überhoben zu sein und mit der Sache fertig zu werden. Will man aber die „Arbeit des Denkens“ heilig sprechen, oder, was dasselbe ist, „menschlich“ nennen, so giebt man den Menschen nicht minder einen Beruf, als wenn man ihnen den Glauben vorschreibt und führt von der Unbedenklichkeit ab, statt zu ihr, als zu dem eigentlichen oder egoistischen Sinn des Denkens hinzuführen. Man verleitet die Menschen zur Bedenklichkeit und Bedächtigkeit, indem man ihnen ein „Heil“ im Denken verheisst; die Denkschwachen, die sich dazu verleiten lassen, können aber nicht anders, als sich wegen ihrer Denkschwäche bei irgend einem Gedanken — beruhigen, d. h. gläubig werden. Statt sich’s mit dem Bedenken leicht zu machen, werden sie vielmehr bedenklich werden, weil sie wähnen, im Denken liege das Heil[1].

Doch die Bedenken, durch das Denken erschaffen, sind einmal da und können allerdings auch durch das Denken gehoben werden. Allein diess Denken, diese Kritik kommt nur dann zum Ziele, wenn es egoistisches Denken, egoistische Kritik ist, d. h. wenn der Egoismus oder das Interesse


  1. Die religiösen Wirren unserer Tage haben hierin ihren Grund; ja sie sind unmittelbare Aeusserungen dieser Bedenklichkeit.
Empfohlene Zitierweise:
Max Stirner: Recensenten Stirners aus Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. , Berlin 1914, Seite 362. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_362.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)