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Staat und Reich sind mithin ihrem ganzen Wesen nach verschieden, da der eine zu seinem Bestande eine gleiche Gesinnung, der andere weiter nichts als eine landsmännische Verträglichkeit und Friedlichkeit des Verkehrs voraussetzt. Während der Staat bei seinen Bürgern keine entgegengesetzten Gesinnungen dulden kann, bleibt das Reich von der größten Gesinnungsverschiedenheit unberührt; ein monarchischer Staat z. B., in welchem ein großer Theil der Bürger in seiner Gesinnung umschlüge und eine republikanische Gesinnung offenbarte, würde das Schicksal einer Kirche haben, in der die Ketzerei um sich griffe: entweder müßte er, wie die Kirche der Andersgläubigen oder Ketzer, so die Andersgesinnten ausstoßen und ausrotten, oder er müßte zu Grunde gehen. Aehnlich der Kirche, welche nur durch die Rechtgläubigkeit besteht, besteht der Staat nur durch die rechte Gesinnung, und wie die Kirche um ihrer selbst willen gegen die Ketzerei nicht tolerant sein darf, so würde auch der Staat sich selbst vernichten, wenn er gegen die „schlechte Gesinnung“ Nachsicht üben, und z. B. eine „schlechte Presse“ dulden wollte. Eine schlechte Presse ist aber in einer Republik diejenige, welche antimonarchische Gesinnungen äußert, gleichwie in einer lutherischen Kirche derjenige ein schlechter, seines Amtes unwürdiger Prediger ist, der den lutherischen Glauben verfälscht, oder in einer katholischen derjenige, der einen dem Katholicismus entgegengesetzten Glauben verkündet.

Hiergegen nun verhält sich das Reich, weil es vom Reichsbürger keinerlei Gesinnung, sondern bloss ein friedliches Benehmen fordert, völlig gleichgültig; dem Reiche liegt ebenso wenig daran, ob seine Bürger nebenbei royalistisch oder constitutionell oder republikanisch u. s. w. gesinnt sind, als dem Staate (und z. B. Friedrich dem Großen, der durch und durch Staatsmann war) darauf ankommt, welchen kirchlichen Glauben die Staatsbürger haben, oder „auf welche Façon jeder selig werden will.“