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er seine Tochter in das Gotteshaus der Tugend eingeführt, und um die letzte Möglichkeit gebracht hat, ein eigener Mensch zu werden. Als die Tugend diess Kind endlich ganz um den Verstand und ums Leben bringt, da gehen dem barmherzigen Bruder zwar die Augen auf, aber nicht etwa über den Götzen, für dessen Priesterdienst er die Unglückliche geopfert, sondern über die „Gerechtigkeit des unerforschlichen Gottes,“ der seinen Angriff auf den Vater jetzt an ihm als Vater durch den Verlust der Tochter rächt. So schwachsinnig ist dieser Kämpfer für Tugend und Religion, dass er in der consequenten Durchführung seines eigenen Princips, die er in der Handlungsweise der Tochter anzuerkennen und zu bewundern nicht umhin kann, nichts sieht, als ein „Zorngericht“ Gottes. Marie erfüllt ganz und vollständig das, was Sittlichkeit und Religion fordern; ihr Vater muss selbst bekennen, dass „sein unglückliches Kind in allem, was das Zartgefühl des Herzens und der Ehre betrifft, mit einer so unerbittlichen Logik begabt sei, dass man ihr nichts erwidern könne,“ — er „giebt es auf, sie zu überreden, da alle Vernunftgründe zu ohnmächtig sind gegen eine so unüberwindliche Ueberzeugung, die aus einem edlen und erhabenen Gefühle herstammt,“ — ja er gesteht, dass er in Märiens Namen auch „so würdig, so muthig“ gehandelt haben würde: — und nun, was erkennt er in dieser unbeugsamen, vollendeten Sittlichkeit seiner Tochter? Eine „Züchtigung“ Gorttes, der ihm diese Erhabenheit seines Kindes zur „Strafe“ schicke! Wahrlich, man kann das feige Juste-milieu unserer liberalen Zeit nicht grausamer, nicht hohnlachender zeichnen, als ein weichmüthiger Anhänger desselben es unfreiwillig hier selber gethan hat. — Der gute Fürst hat bei seiner Bussfahrt „nichts gelernt und nichts vergessen.“ Als Mensch ohne Entwicklung und Selbstschöpfung erfährt er nur die harten Schicksale, welche der Dienst der Tugend ihren Gläubigen bereitet: er macht nur theologische Erfahrungen, keine