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sich der Banquier nicht: er „macht ihm Schande;“ wer die Tugenden eines ehrbaren Bürgers nicht „besitzt,“ der muss ihm nicht zu nahe kommen. Nach Gütern misst der eine wie der andere, und der Mangel eines Gutes ist und bleibt ein Mangel. Wie ein Pferd, das alle Tugenden des besten Pferdes, aber eine schlechte Farbe hat, einen Makel behält, so haftet an einem Weibe, das um die unbefleckte Reinheit gekommen ist, auf Zeit ihres Lebens ein Flecken. Und mit Recht, denn es fehlt ihr eines der hauptsächlichsten Güter, die einem sittlichen Weibe Ehre machen. Ist Marie auch jetzt keusch, so ist sie es doch nicht immer gewesen, ist sie auch jetzt unschuldig, so war sie es doch vorher nicht. Die Unschuld ist so zarten Wesens, dass sie niemals berührt worden sein darf; einmal verletzt, ist sie auf immer verschwunden. Unschuld ist eine so fixe Idee, dass Morel an ihr zum Wahnsinnigen wird und Marie zur Betschwester. — Es muss auch so sein. Ist der Abstand der Verworfenen von den Reinen, der Unsittlichen von den Sittlichen, einmal ein fixer, so drückt Marie nur zart, innig und unverholen das Gefühl dieses unauflöslichen Gegensatzes aus. Sie ist — „entweiht.“

Was soll die Einwendung beweisen, dass man ja längst nicht mehr so penibel sei und gegen früher einer grossen Nachsicht in diesem Punkte huldige? Erstlich liesse sich diese Behauptung überhaupt bestreiten, weil man zwar keine Kirchenstrafen mehr verhängt, sittlich aber weit weniger lax urtheilt, als in den Zeiten des ancien regime; sodann aber hat die grosse Masse von jeher an vielen Stellen ihrer Haut harte Schwielen gehabt und gegen die strengen Consequenzen ihrer Glaubensartikel sich unempfindlich gezeigt. Soll darum ein zarter empfindendes und strenger denkendes Wesen, wie Marie, dem Schlendrian der Alltagsmenschen verfallen müssen?

Vielmehr müssen wir anerkennen, für sie, die den Anforderungen der Sittlichkeit ein volles Genüge zu thun sich