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ist die Philosophie Schöpferin einer Religion, denn nie erzeugt sie eine Gestalt, die dem Verstande als Object dienen könnte, sie erzeugt überhaupt keine Gestalt, und ihre bildlosen Ideen lassen sich nicht im religiösen Cultus anbetend verehren. Dagegen folgt die Kunst jederzeit dem Triebe, das Eigenste und Beste des Geistes oder vielmehr den Geist selbst in möglichster Fülle als eine ideale Gestalt hervorzutreiben, ihn aus dem Dunkel, das ihn umhüllt, so lange er noch in der Brust des künstlerischen Subjectes schlummert, zu erlösen, und durch Gestaltung ein Object aus ihm zu bilden. Diesem Objecte, dem Gotte, steht der Mensch dann gegenüber, und selbst der Künstler fällt vor ihm, der Schöpfung seines Geistes, auf die Kniee. Im Verkehr und Kampfe mit dem Objecte verfolgt die Religion nun einen der Kunst entgegengesetzten Weg, indem sie das Object, welches der Künstler dadurch hervorbrachte, dass er die ganze Kraft und Fülle seines Innern zu einer herrlichen Gestaltung concentrirte und sie, die mit eines Jeden eigenstem Bedürfniss und Verlangen harmonirte, der Welt als Object vor Augen stellte, wieder in das Innere, wohin sie gehört, zurückzunehmen und wieder subjectiv zu machen sucht. Sie trachtet das Ideal oder den Gott mit dem Menschen, dem Subjecte, zu versöhnen und ihn seiner harten Gegenständlichkeit zu entkleiden. Der Gott soll innerlich werden („Nicht Ich, sondern Christus lebet in mir“), die Entzweiung will sich selbst auflösen und loswerden; der mit dem Ideal entzweite Mensch strebt seinerseits dieses wieder zu gewinnen (Gott und Gottes Gnade zu gewinnen und endlich Gott ganz zu seinem Ich zu machen) und der vom Menschen noch getrennte Gott sucht anderseits jenen für das Himmelreich zu gewinnen: sie ergänzen und suchen sich beide. Aber sie finden sich nie und werden nie Eins; die Religion selbst verschwände, wenn beide jemals Eins würden, da sie nur in ihrer Trennung besteht. Daher hofft der Gläubige auch

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Max Stirner: Kunst und Religion aus Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. Berlin 1914, Seite 265. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_265.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)