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Ueberzeugung, vom Selbstbetrug, von der Selbstbelügung, vom Schwanken und Wechseln zwischen Selbsttäuschung und Täuschung Anderer, bis zur selbstbewussten Heuchelei! Diese Scala, welche Daub’s noch wenig gelesenes, noch weniger bisher verstandenes, seine Epoche erst erwartendes Buch: Ueber die Selbstzucht in der Theologie, so gründlich entwickelt, diese Scala lässt man den armen Theologen so wenig zu Gute kommen. Man ahnt nicht, in welchem geheimen Zwiespalt ihre Intelligenz oft mit sich lebt und für die Philosophie sich bald begeistert, bald sie wieder als eine Verrätherin fürchtet. Man ahnt nicht, welche moralischen Vorgänge in ihrem Leben sie leiten, welche entsetzliche Erfahrungen sie ganz im Stillen an sich von der Sünde und ihrer dämonischen Gewalt, von der Hülfsbedürftigkeit des Menschen, von göttlicher Vorsehung gemacht haben und wie nun diese verborgene biographische Empirie ihre öffentliche Kanzeltheologie gestaltet. Man ahnt nicht, welchen Kampf sie oft bestehen mit Dem, was sie lehren, bald, indem sie sich im Geheimen sagen müssen, in der That nicht zu wissen, ob, was sie verkünden, die ewige Wahrheit sei, und deshalb desto eifriger dem Glauben sich zuwenden; bald, indem sie den Widerspruch erkennen, worin ihr Handeln, ihr Empfinden noch mit der vom Glauben gefoderten Heiligkeit des Wandelns steht! Wie glüht ihnen oft der Pfahl im Fleische! Wie sind sie in verzehrende Schönseligkeit versunken! Es ist vorgeschlagen worden, für die protestantischen Theologen zwischen der Universität und dem Amte Seminarien eintreten zu lassen, wo sie durch technische Vorbereitung für den Kirchendienst eingeschult werden sollen. Preussen besitzt sogar ein solches in Wittenberg. Aber der protestantische Candidat hat nicht, wie der katholische, viel Aeusserlichkeiten zu lernen. Die Hauptsache bleibt einmal bei uns Protestanten die Predigt als die Urform der Darstellung des Christenthums.“

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Max Stirner: Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. , Berlin 1914, Seite 171. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_171.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)