Seite:DE Stirner Schriften 167.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Gefühl basirt werden müsse. Allerdings ist die Beurtheilung darüber, was frech und unehrbietig sei, nicht allein aus der Anschauung des Verstandes, sondern zugleich auch aus dem Ermessen des Gefühls zu entnehmen. Eine abstracte Feststellung der Begriffe: frech und unehrerbietig, ist unmöglich, weil die Verschiedenartigkeit der Personen, Umstände und Beziehungen darauf den wesentlichsten Einfluß üben. Auch selbst in dem einzelnen Falle kann die Entscheidung darüber, ob etwas frech oder unehrbietig sei, nicht ausschließlich durch eine logische Begründung bestimmt werden, eben so wenig wie die Beurtheilung, ob etwas injuriös und ob darin eine schwere oder nur eine leichte Beleidigung enthalten sei. Die Entscheidungsnorm beruht vielmehr in dergleichen Beziehungen zum Theil auch auf dem Gefühle für Anstand und Sitte; sie erscheint deshalb aber keineswegs als eine unsichere, indem darüber, was unter den concreten Umständen als eine Verletzung des Anstandes und der Sitte anzusehen ist, kein Zweifel obwalten kann. Im vorliegenden Falle liegt überdies die Frechheit und Unehrerbietigkeit, mit welcher Inculpat die bestehende Verfassung angegriffen hat, so klar zu Tage, daß zur Erkenntniß seiner Schuld die Appellation an das Zartgefühl in der That unnöthig erscheint. Frech ist Derjenige, welcher sich anmaßt zu belehren, ohne selbst gehörig unterrichtet zu sein, denn er stellt sich eigenmächtig auf einen Standpunkt, welcher ihm nicht gebührt; frech ist Derjenige, welcher behauptet, ohne zu wissen, denn seine Behauptung muß nothwendig Lüge enthalten; seine Frechheit ist um so größer, je öffentlicher er seine Lehre verbreitet, je öffentlicher er seine Behauptung aufstellt, noch frecher aber ist Derjenige, welcher vorsätzlich lügt oder absichtlich die Wahrheit entstellt. Insoweit liegt die Frechheit in der Sache selbst. Je rücksichtsloser dabei in Ansehung der Worte, der Personen und Verhältnisse verfahren wird, je größer ist die Frechheit der Form nach. In allen

Empfohlene Zitierweise:
Max Stirner: Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. , Berlin 1914, Seite 167. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_167.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)