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zählen die darauf gesetzten Strafen zu den historischen Curiositäten. Man lernt hieraus, wie unbestimmt der Begriff: Frechheit, wie sehr er von den jedesmaligen Ansichten der Zeit abhängig ist. Als das Gesetz des Allgemeinen Landrechts (Thl. II. Tit. 20. § 151) abgefaßt wurde, es geschah dies in den Jahren 1780-1784, bestand noch zwischen Regierung und Regierten eine so große Kluft, daß man von unten her sich um die Staatsangelegenheiten wenig kümmerte, von oben blinder und stummer Gehorsam für die höchste Tugend eines guten Bürgers gehalten wurde. Das Volk, in Zünften und Corporationen gehörig organisirt, kaum aber noch zu einem selbständigen Leben erwacht, war damals aus Mangel an politischer Bildung so wenig einer eigenen Prüfung fähig, daß es durch publicistischen Tadel der Staatsverwaltung, selbst wenn derselbe allen Grundes entbehrte, leicht aus seiner Stumpfheit aufgeregt und den Machthabern gefährlich werden konnte; daher man es für nöthig hielt, jedes öffentliche Urtheil zurückzudrängen und jeden Tadel des Bestehenden für sträfliche Anmaßung zu erklären. Wie sehr aber hat sich seit jener Zeit der gesellschaftliche Zustand und vor Allem die Ansicht über das sittliche Verhältniß der Regierung zu den Bürgern verändert! Vereinzelte Anachronismen sind es, wenn hier und da noch Jemand in der Staatsverwaltung militairische Begriffe geltend zu machen, die Bürger wie Soldaten zu commandiren versucht. Nicht leidenden Gehorsam verlangt die Gegenwart, sondern Selbsturtheil und thätigen Gemeinsinn; Fürst und Volk stehen einander nicht mehr feindlich gegenüber; traurige Erfahrungen haben sie einander näher gebracht. Seit jener Zeit hat namentlich Preußens Volk in der Noth seine Treue, im Kriege seine Mannhaftigkeit und im Frieden seine Reife, Wahres vom Falschen zu unterscheiden, bewährt. Hat unter solchen Umständen die Regierung von dem unbegründeten Tadel eines Schriftstellers etwas zu fürchten, und kann der begründete

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Max Stirner: Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. , Berlin 1914, Seite 157. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_157.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)