Seite:DE Stirner Schriften 089.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

und der Welt im Gleichgewicht zu leben. Der Germane aber hat um so mehr einen Trieb nach einem Zustande in sich, der ihn ihm selbst zu entreissen vermag, je mehr er seiner selbst im Innersten gewiss und daher auch von vorn herein mit der Welt zu spielen geneigt ist. Nicht der momentane Selbstmord, auf den der Finne und Slave im Trunk ausgeht, nicht der sinnliche Kitzel als solcher, sondern die Macht des Geistes ist es, die den Germanen reizt, Glas auf Glas zu leeren. Es liegt eine Verachtung der Natur als Kraft in seinem maasslosen Trinken. Das Trinken, nur um sich zu berauschen, nur um bewusstlos ausschnarchen zu können, um die Seligkeit des Nichtseins zu geniessen, würde ihm gar keinen Genuss gewähren, aber als eine Macht, gegen die er sich frei erhält, indem er sie unmittelbar in sich aufnimmt, sie mit seinem Blut sich vermählen lässt, hat das Trinken für ihn einen grauenhaften Reiz. Es liegt in ihm dieselbe Keckheit, mit welcher der Seekönig Regnar Lodbroki, als im Thurme die Schlangen ihn zernagten, seine Thaten mit dem Refrain sang: „lachend werde ich sterben.“ Ohne diese dämonische Tiefe der Versuchung würde es kaum zu erklären sein, mit welcher Lust der Germane trinkt. Viel trinken zu können, ist bei ihm eine Art Ehrensache geworden.“

Ich erlaube mir hierzu eine Note beizufügen, die ich vor Jahren zu Tacitus Germania 24 machte, und die ich ohne weitere Verbesserung als Parallele geben will: Die Spielsucht der Germanen liess sie selbst Freiheit und Leben opfern. Es ist dies die stärkste Abstraktion, zu der es der Mensch, der das ihm Eigene opfert, zu bringen vermag. Das Substantielle, was bei diesem Aufgeben der höchsten persönlichen Güter zurückbleibt, ist die Treue im Vertrage, das verpflichtete Wort. Hierin erscheint der Germane, nach der äussersten Abstreifung alles Zufälligen, wozu selbst Alles, was an der Freiheit Verlierbares ist, gehört, rein in seinem Wesen. Nur das reine, unzerstörbare