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sagen es Euch, daß Ihr den kirchlichen Sinn verloren habt. Ihr schlendert noch so in der alten Gewohnheit hin und meint gute Christen zu sein; nehmt aber das Wort Eurer Geistlichen Euch zu Herzen und lasset es nicht ungehört und unbeachtet verhallen: sie, die Eure berufenen Lehrer sind, verkündigen es Euch, daß Ihr schlechte Christen seid. Ja, kommt dadurch zur Erkenntniss und bekennet es frei: Wir sind keine Gläubigen mehr! Wir glauben nicht ernstlich mehr an den alten Herrgott, und wenn wir nur wüßten, wie ohne ihn die Welt hätte entstehen und bestehen können, so würden wir dieser ganzen unbegründeten Voraussetzung nicht mehr bedürfen. Und wenn Ihr mit diesem Selbstbekenntnisse die Last Eurer Selbsttäuschung abgeworfen und Euch wenigstens offen gesagt habt, wie es um Euch und Euren Glauben steht, so fordert für Eure Lehrer das freie Wort, die unveräußerliche Lehrfreiheit. Ihr werdet schwerlich verlieren, was Ihr noch länger besitzen möchtet, viel aber gewinnen, wovon Ihr in Eurer träumerischen Anhänglichkeit am Alten nie zu träumen wagtet.

Lasset uns nun das vorliegende „Wort der Liebe an unsere Gemeinen“ ein wenig näher betrachten. Eure Seelsorger, „welchen das Amt des göttlichen Wortes anvertraut ist“, wollen ein Wort des Ernstes und der Liebe über die Feier unserer christlichen Sonn- und Festtage an Euch richten. Verweilen wir einen Augenblick bei diesem „anvertrauten Amte des göttlichen Wortes.“ Bedeutet es das Amt, uns zu lehren Alles, was sie als wahr erkennen, fühlen und denken, uns sich selbst und die Wahrheiten zu offenbaren, welche sie im ernsten Bemühen um die ewige Wahrheit gefunden haben, oder ist es das Amt, die Bibel buchstäblich, treu und ohne Einmischung eines Urtheiles zu erklären, und das Bibelwort als das göttliche Wort zu verehren? Niemand unter Euch kann zweifeln, daß ein christlicher Prediger allein auf das letztere angewiesen ist. Aber auch nicht leicht wird Einer unter Euch anzutreffen

Empfohlene Zitierweise:
Max Stirner: Gegenwort aus Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. Berlin 1914, Seite 34. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_034.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)