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geboten wird, nicht mit dem rein Menschlichen in Eins zusammenfällt? In wie weit dies gegenwärtig der Fall ist, darüber muß ich ja auch schweigen, da ich der Lehrfreiheit nicht genieße. Aber ich will Euch auf Luther verweisen. Was zu seiner Zeit für christlich galt, das war unmenschlich und schlecht. Nahm er sich nicht die Lehrfreiheit, die verbotene, dies Christliche in seiner Erbärmlichkeit aufzuzeigen? Er stellte sich und der Welt die Frage, was denn das rein Christliche sei. Ungehemmt forschte er darnach, und weil er das Biblische dafür erkannte, so predigte er’s ohne Scheu. Wie denn nun, wenn drei Jahrhunderte rastloser Forschung in den Tiefen der Gottheit uns darüber aufgeklärt hätten, es sei auch, was so Biblisch heißt, noch nicht das Wahrhafte? Sollen wir dabei beharren, auch wenn das Menschliche darunter litte? Sollen wir uns aufs Christliche verpflichten, selbst mit Aufopferung des Menschlichen? Sollen wir um jeden Preis und namentlich um diesen Preis Christen sein wollen? „Der wahre Christ, das ist der wahre Mensch!“ Wohl denn, so lehret uns, was des wahren Menschen ist, so lernen wir wahre Christen sein. Wir wollen vom Christlichen nichts wissen, wenn es nicht das Menschliche ist. Lehret uns die Religion der Menschlichkeit! Müssen aber, diese Frage entsteht uns hierbei sogleich, müssen die Prediger dieser erhabensten Religion, gleich den heutigen Predigern der christlichen Confessionen, verpflichtet werden auf ein Symbol? Müssen sie in eine Vorschrift eingezwängt werden? Was hätten wir da gewonnen, wenn uns auch diese Religion um den freien Lehrer betröge? Nein, das Menschliche ist nicht Das, was Andere erkannt haben und ich ihnen glauben soll, sondern Das, was ich mit ganzer Seele erfasse und mein eigen nenne. Ich bin kein ganzer, kein voller Mensch, wenn ich Andern nur glaube, was sie mir von meinem eigenen innersten Wesen, von meinem Berufe und von dem Gotte, der in mir selbst wohnt, erzählen und versichern;

Empfohlene Zitierweise:
Max Stirner: Gegenwort aus Max Stirner's Kleinere Schriften und Entgegnungen. Berlin 1914, Seite 31. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:DE_Stirner_Schriften_031.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)