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schon über jene Eigenheit der vivipara gewundert: „Kaum wollte ich meinen Augen trauen,“ so sagt der Tiroler Faunist V. Gredler, „als ich das erstemal bei Sigmundskron (auf feuchten Wiesen – eine vermeintliche muralis – ganz gegen deren Gepflogenheit – vor mir ins Wasser flüchten sah, sie herauslangte und die Bergeidechse erkannte, die ich bis dahin nur im Hochgebirge getroffen, auch nur dort gesucht hatte.“ Man hat beobachtet, daß sie beispielsweise an den Abzugsgräben von Wiesen plötzlich im Wasser verschwindet, in demselben nun schwimmend oder am Grunde kriechend nach einem noch unter der Oberfläche befindlichen, ihr vertrauten Loche sich begibt und nun durch dessen Höhlung wieder aufs Trockene zu kommen sucht. Sie schwimmt also nicht nur, sie taucht auch gut und darf, was bereits erwiesen, hinsichtlich ihrer Neigung zum Wasser ein halbes Amphibium genannt werden. Wie das Wasser, so gewährt ihr auch das hohe Gras der Wiesen gute Deckung, denn sie versteht es, äußerst geschickt am Boden zwischen den Stengeln entlang zu huschen, ohne daß der Verfolger sie gewahren oder gar im Auge behalten könnte. Ebenso entzieht sich das bescheidene Tierchen in seinem braunen, dem gleichfalls dunklen Boden ähnelnden Kolorit sehr leicht unseren Blicken, wenn es an der Erde auf und zwischen den verwesenden düsterfarbigen Blättern und Nadeln sein Wesen treibt. Diese Vorteile gehen ihr verloren, sobald sie auf kurzgrasigem Rasen oder auf frischgrünem dichtem Moospolster zu entfliehen gedenkt. Unschwer vermag man dann das mehr schleichende und huschende als rennende und springende Geschöpf einzuholen; und es will mir daher nicht verständlich scheinen, wenn I. Erber in seinen „Amphibien der österreichischen Monarchie“ den Ausdruck „äußerst flüchtig“ zur Kennzeichnung der vivipara verwendet, zumal man bedenken muß, daß die Beweglichkeit der letzteren im Gebirge und in kühlen Rünsten oder gar auf frostigen alpinen Höhen nicht dieselbe wie zu Tal ist und Gredler deshalb bei seiner Schilderung aus dem Bade Ratzes sagt, daß die Bergeidechse „träge wandelnd“ (und fast furchtlos) getroffen wurde. Die ruhigen, gleichförmigen Bewegungen entsprechen dem ganzen Wesen dieser Eidechse; sie führt weder Sprünge wie die Grünechse, noch solch’ bunte Jagden wie Zaun- und Mauereidechse aus, bei Gefahr eilt sie weder Mauern und Felsblöcke, Pfosten und Planken hinauf wie die muralis, noch sucht sie die Höhe eines Busches und Baumstammes zu gewinnen wie die viridis. Die Kletterfähigkeit ist bei ihr überhaupt wenig entwickelt, geringer noch als bei der Zaunechse, und wenn wir diese schon ein wirkliches Bodentier nannten, so verdient die vivipara eine derartige Bezeichnung in noch höherem Grade; nur um sich zu sonnen, klimmt sie mal, was bereits erwähnt, gemächlich einige Fuß an einem Baumstamm hinauf und ersteigt sie im Terrarium einen ihr zu dem Zwecke genehmen Busch. Die in manchen Stücken von der ihrer Verwandten abweichenden Lebensweise unserer Waldeidechse, die absonderlichen Anforderungen und Wünsche, welche sie hinsichtlich des Aufenthaltes, der Luftbeschaffenheit u. a.

Röntgenaufnahme einer lebenden Waldeidechse, doppelt vergrößert.
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Bruno Dürigen: Vom Wesen der Waldeidechse. Hermann Schütz, Berlin 1928, Seite 45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:D%C3%BCrigen_%E2%80%93_Waldeidechse_(Das_Aquarium,_1928).pdf/4&oldid=- (Version vom 14.9.2022)