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VOM WESEN DER WALDEIDECHSE
MIT ERLAUBNIS DES VERFASSERS UND DER VERLAGSANSTALT AUS: BRUNO DÜRIGEN
DEUTSCHLANDS REPTILIEN UND AMPHIBIEN, CREUTZSCHER VERLAG
[1]

Trotz der geringen Empfindlichkeit gegen Kälte kann die Wald- oder Bergeidechse selbstverständlich der wärmenden Sonne nicht entbehren; aber während ihre Verwandten am liebsten die Strahlen voll auf sich einwirken lassen, legt sie sich unter die Moospolster oder Gesträuche, auf deren Stengel und Blätter die Strahlen fallen, so daß sie einen mittelbaren Genuß davon hat. Eine meiner das Terrarium bewohnenden Wald-Eidechsen lag bei Sonnenschein in einem buschigen Lebensbaum (Thuja), eine andere in einer Erika; auch im Freien klettert sie, wie auch schon Boie auf der jütischen Halbinsel beobachtete, „im Herbst und Frühling, um sich zu sonnen, an Baumstämmen hinauf.“ Das Klettern geschieht allerdings „mit ungleich geringerer Agilität als bei der süddeutschen Mauer-Eidechse. Ueberhaupt ist ihr ganzes Wesen ruhiger, bescheidener als das anderer ihres Geschlechts; sie offenbart weder die reizende Keckheit und Neugier und das neckische Gehaben der Zauneidechse, noch die Leidenschaftlichkeit und das Ungestüm des Grüneders und den leichten Sinn und die freundliche Lebensauffassung der Mauereidechse, aber auch nicht die ruhige Besonnenheit der Blindschleiche, sie lebt vielmehr zurückgezogen und unbekümmert um Freunde und Verwandte still für sich hin, ein Beispiel verkörperter Schüchternheit und Harmlosigkeit. Wie in der Freiheit, so hält sie sich auch in der Gefangenschaft fern von Raufereien und Neckereien, welche Zaun- und Mauereidechsen nur zu gern anzetteln. In selbstgenügsamer Beschaulichkeit betrachtet sie von dem einmal gewählten und gewöhnlich mit Vorliebe benutzten Plätzchen aus: einem Busch, am oder im flachen Wassernapf, auf oder im Moospolster u. dgl. das vergnügliche und mitunter recht aufgeregte Treiben ihrer Genossen, um bei etwaiger Gefahr mit fast übergroßer Aengstlichkeit unter Moosteppich, Gewurzel und Gestein sich in Sicherheit zu bringen. Selbst dann, wenn Würmer, Käferlarven u. a. zur Fütterung dienende Kleinwesen gereicht werden und ein fröhliches Jagen und Schmausen der übrigen Terrariumbewohner anhebt, verbleibt die Waldeidechse bescheidentlich im Hintergrunde, vornehmlich in dem Falle, daß sie noch nicht lange in der Gesellschaft weilt; schnellen Laufs kommt sie vielleicht nur hervor, um einen zappelnden Regen- oder Mehlwurm zu packen, mit ihm eilends auf ihr Moospolster usw. zurückzukehren und ihn nach einigem Schütteln zu verzehren – aber sie läßt sich meinen Wahrnehmungen zufolge nicht herbei, mit ihren Gefährten um einen Bissen zu zerren und zu eifern, wie es Zaunechsen insbesondere tun. Nur dem Pfleger, den sie bald kennen lernt, erweist sie sich vertrauensvoller. Namentlich scheinen die aus Hochgebirgen stammenden Tiere, welche dort oben den Menschen „noch nicht fürchten gelernt“ haben und, wie Gredler berichtet, bei plötzlichem Aufdecken ihres Schlupfwinkels (Steine} in der Regel keine Scheu und keine Neigung zu entfliehen zeigen, sich rasch an den Besitzer zu gewöhnen, mit ihm Freundschaft zu schließen, und daher wohl sagt Gredler von ihr: „Sie wird bälder zutraulich und kirre als ihre nächsten Gattungsverwandten.“ Von den in niedrigeren Lagen erbeuteten Stücken läßt sich das nicht so ohne weiteres behaupten, im Gegenteil benehmen sie sich ständig zurückhaltender, schüchterner, nicht so liebenswürdig zudringlich gegen ihren Gönner als die anderen Arten. Vernimmt eine solche Waldeidechse in der Natur draußen das Nahen eines Menschen oder aber eines ihr verdächtig vorkommenden Tieres, so huscht sie geräuschlos und hurtig in ihr Versteck, und man gewahrt sie selbst gewöhnlich erst dann, wenn sie schon auf der Flucht sich befindet; sie läßt sich auch nicht eher wieder blicken, als bis sie jede Gefahr beseitigt glaubt. Während Grünechsen und auch kräftige Zauneidechsen durch Aufsperren des Maules drohen oder zubeißen, wenn man sie fangen will, greift unsere Art zu solchen Mitteln nicht; sie setzt sich nie zur Wehr, sie sucht vielmehr nur so bald als möglich der sie fassenden Hand zu entkommen, und dies meint sie wie die Blindschleiche und andere Skinke am ehesten in der Weise zu erreichen, daß sie ihren Körper hin und her windet oder ihn gegen die hohle Hand stemmt, und dabei auch mit dem Schwanze schlägt. Ihr Fang ist überhaupt nicht mit sonderlichen Schwierigkeiten verknüpft. Er wird aber hauptsächlich dann vereitelt, wenn die Eidechse ins Wasser oder in den Sumpf flüchtet und das tut sie, falls die Umstände es gestatten, ohne Bedenken, man möchte sogar sagen, mit Vorliebe. Mancher Naturfreund, der unsere Lacertenarten eben bloß als Bewohner und Liebhaber trockener Oertlichkeiten kannte, hat sich

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Originaltitel: Deutschlands Amphibien und Reptilien, Creutz’sche Verlagsbuchhandlung 1897
Empfohlene Zitierweise:
Bruno Dürigen: Vom Wesen der Waldeidechse. Hermann Schütz, Berlin 1928, Seite 44. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:D%C3%BCrigen_%E2%80%93_Waldeidechse_(Das_Aquarium,_1928).pdf/3&oldid=- (Version vom 14.9.2022)