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Genau wissen wir das Jahr nicht, in welchem Raphael von seinem Oheim Ciarla nach Perugia zu Meister Pietro in die Lehre gebracht worden; jedenfalls nach dem am 1. August 1494 erfolgten Tode des Vaters; wahrscheinlich im Jahre 1495, nach gewöhnlicher Annahme später, d. h. also in seinem 12. oder 15. Jahre. Der Knabe freilich im Schoosse Peruginos zählt nicht mehr, als höchstens 8 Sommer! Rechten wir desshalb nicht mit dem Berichterstatter! Der Unterrichtsaal gleicht einem Tempel, dessen Wände mit den Bildern von Glück und Genuss geschmückt sind, und in welchem ein lauterer Quell sein erquickendes Wasser ergiesst.

Zwischen Meister und Schüler aber erstand und erhielt sich ein heiliger Seelenbund. In unverbrüchlicher Liebe beharrte Raphael zu seinem Meister, so dass er, selbst entgegen dem Verlangen des Papstes, Fresken desselben im Vatican rettete, die zu seinen (Raphaels) Gunsten dem Hammer überantwortet waren. Und Perugino erwiederte die Liebe mit vollkommener Neidlosigkeit, als er seinen Schüler an Fähigkeiten, Leistungen und Glück über sich hinauswachsen sah. Ein ungetrübter Friede verband Beide durchs ganze Leben und Perugino gab nach Raphaels Tode ein letztes Zeugniss der Liebe und des Friedens die zwischen ihnen geherrscht, indem er des Schülers unvollendet gelassene Jugendarbeit in S. Severo zu Perugia zu Ende führte.




Loggia VIII.


Signorelli und seine Zeitgenossen.




Grosses und Herrliches hatte die Kunst in Italien bis dahin geleistet; aber noch hatte sie ihr Ziel nicht erreicht, und viele und mannigfaltige Kräfte mussten sie auf dem Wege dahin unterstützen. In sinnreichen, mythologischen Bildern bezeichnet sie Cornelius in der

Kuppel (Tafel 15).

Zu den nächsten Erfordernissen gehörte gründliche wissenschaftliche Bildung, wie Minerva sie lehren konnte; vollkommene Durchbildung der Form, darin Vulcan der Meister war, und eine grossartige Kraftentfaltung, wie sie nur vom höchsten der Götter, vom Jupiter ausgehen konnte. – Kalt aber lässt der Künstler, selbst bei vollkommener Kenntniss der Perspective und Anatomie, der Formen und Proportion wie beim Aufwand riesenhafter Anstrengung, wenn ihm nicht die meergeborene Göttin der Schönheit ihre entzückenden Gaben verliehen, wenn ihn nicht Venus gelehrt, womit sie selbst Götter wie Menschen entzückte. – Und wenn auch sie das Vollmaass ihrer Reize über das Kunstwerk ausgegossen, es fehlte ihm aber die Wärme des pulsierenden Lebens; lau würde die Wirkung sein und bleiben, und erst wenn es die Natur ganz in sich aufgenommen, wie die Statue Pygmalions, könnte der Künstler hoffen, am Ziel seiner Wünsche angekommen, den Lohn seines liebevollen Eifers erlangt zu haben; wie Donatello es von sich glaubte, als er zu dem von ihm für den Glockenthurm des florentinischen Doms gemeisselten

Empfohlene Zitierweise:
Text von Ernst Förster: Peter von Cornelius − Entwürfe zu Fresken in den Loggien der Pinakothek zu München . Verlag von Alphons Dürr, Leipzig 1875, Seite 29. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Cornelius_Loggien-Bilder_M%C3%BCnchen.pdf/39&oldid=- (Version vom 31.7.2018)