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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

zugebracht, aber doch noch einige Groschen gehabt habe, um nicht hungern zu dürfen, geschehen, indem ihm die Woostin des Morgens am Zuchthauspförtchen gesagt habe, er möge Nachmittags um 4 Uhr auf der Funkenburg auf sie warten. Was er an diesem Tage weiter vorgenommen, wo er herumgelaufen, und ob er auf der Funkenburg gewesen sey, wisse er nicht mehr genau, glaube aber, daß er nicht da gewesen sey, weil er sich gleich vorgestellt habe, daß die Woostin nicht kommen und lieber mit einem andern gehen werde. Inzwischen erinnert er sich dennoch, daß er die Degenklinge abgeholt und einen Griff daran bestellt habe, und meint, er müsse wohl dabei die Absicht gehabt haben, die Woostin damit zu erstechen, versichert aber, daß er es nachher wieder vergessen und nicht einmal mehr daran gedacht habe, daß sich das Instrument in seiner Tasche befinde. Daher habe er sich auch gefreut, als ihm Abends in der Dämmerung die Woostin auf dem Wege vom Palmsthore nach dem Kruge begegnet sey, und zu ihr gesagt, weil er schon Verdacht gegen sie gehabt: »Du bist auch nicht auf der Funkenburg gewesen«, worauf sie gelacht und er daraus ersehen habe, daß sie würklich nicht da gewesen sey. Ob ihn dieses gleich geärgert, habe er dennoch sich erboten, sie nach Hause zu begleiten, sich auch unterwegs weder mit ihr gezankt, noch empfindliche Reden von ihr bekommen, auch den ganzen Weg über nicht daran gedacht, sie zu erstechen. Erst in dem Augenblicke, als er mit der Woostin ins Haus getreten, und diese zu ihm gesagt habe, er möge nun nach Hause gehen, sey der Gedanke daran plötzlich wieder in ihm erwacht, und so sey die That geschehen, ohne daß er sehr in der Hitze oder in heftigem Grimme gewesen wäre. Nach der That sey es ihm gewesen, als sey ihm etwas vom Herzen, auch fühle er seit der Zeit mehr Ruhe in sich selbst.

Ueber religiöse Gegenstände äußert er sich kurz und ziemlich kalt, versichert aber dennoch, daß er an Gott und Zukunft glaube, sein Morgen- und Abend-Gebet nie unterlassen und in seinem letzten hülflosen Zustande manchmal Gott auf den Knieen angerufen habe, auch noch am Himmelfahrtstage, zwei Tage vor der That, in der Kirche gewesen sey. »Aber« setzte er mit rauher Stimme hinzu, »was hat mirs denn geholfen?« – Mit gleicher Rohheit antwortete er auf die Frage, welche Vorstellung er sich wohl von dem Ausgange seines Processes mache? »Es kann mir den Kopf kosten! Aber da mache ich mir nichts draus; – Sterben muß ich einmal!«

In Rücksicht auf Krankheiten und andere Zufälle, denen er im Laufe seines Lebens unterworfen gewesen, giebt er folgendes an: Er erinnere sich nicht, gehört zu haben, daß seine Mutter bei seiner Geburt mehr als gewöhnlich gelitten, noch daß er in seiner früheren Kindheit durch einen Fall, Stoß u. dgl. am Kopfe beschädigt worden, noch auch daß der Durchbruch der Zähne mit gefährlichen Zufällen verbunden gewesen

Empfohlene Zitierweise:
Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 544. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_544.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)