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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

noch 4 Jahre als Lehrling und 1½-2 Jahre in Condition gestanden habe. Die von ihm ermordete Woostin geb. Ottin sey die Stieftochter dieses seines Lehrherrn, mehrere Jahre älter, als er, keinesweges schön, auch zu der Zeit, als er in die Lehre gekommen, bereits seit ihrem 15. Jahre verheirathet gewesen, so daß zu dieser Zeit weder ein näherer noch entfernterer Umgang zwischen ihnen Statt gefunden habe. Im Jahre 1798 sey er nach Dessau und Berlin, von da durch das Hanöverische und Hessische und, weil er nirgends Arbeit gefunden, wieder um Leipzig herum nach Wurzen gegangen, wo er bei dem Perückenmacher Bärwolfinger ein Jahr lang in Condition geblieben sey. Hierauf habe er ein Jahr lang in Berlin und eben so lange in Breslau gearbeitet, einige Jahre in Wittenberg einem Studierenden von Adel als Bedienter aufgewartet, und sich endlich, nachdem er mittlerweile wieder eine Zeitlang in Leipzig gewesen, abermals auf Reisen begeben, wo er sich, weil sein Gewerbe immer schlechter geworden, freywillig bei dem siebenten holländischen Regiment, welches damals Lübeck besetzt gehabt, habe anwerben lassen. Noch als Recrut sey er am 7. April 1807 von den Schweden vor Stralsund gefangen und nach Stockholm transportirt worden, wo er unter dem damaligen Engelbrechtischen Regiment Dienste genommen, und den Feldzügen der Schweden in Finnland gegen die Russen, beigewohnt habe. Als hierauf sein Regiment nach Deutschland übergesetzt und von den Franzosen entwaffnet worden, sey er, um nicht französische Dienste zu nehmen, unter die Meklenburgischen Truppen gegangen, mit ihnen vor Ratzeburg und Hamburg gewesen, nach einiger Zeit aber, aus keinem andern Grunde als weil er sich nach seinen alten Kameraden gesehnt, wieder zu den Schweden desertirt. Bei der Abtretung von Schwedisch-Pommern sey sein Regiment an Preussen übergegangen, er selbst aber habe, einige Zeit nachher, nicht als Invalid, sondern auf sein Ansuchen, den Abschied bekommen, und sich wieder nach Leipzig begeben, wo er vor nunmehr 3½ Jahren, gerade vor der Neujahrmesse, angekommen sey.

So lange er Soldat gewesen, habe er es überall sehr gut gehabt, sich zur Zufriedenheit seiner Obern aufgeführt und niemals Regimentsstrafe, oder auch nur einen Schlag bekommen. Er sey von Natur weichmüthig gewesen, und habe es nicht mit ansehen können, wenn andere sich gezankt, auch habe er nie selbst Zank und Streit gesucht, oder Duelle und Schlägereien gehabt. Noch weniger habe er heimlichen Groll genährt, sondern sich leicht über Beleidigungen hinweggesetzt, auch es nie lange ausgehalten, wenn Jemand böse auf ihn gewesen, ohne sich wieder mit ihm zu vertragen.

Vergnügungen, Zerstreuungen, Tanz, Trunk u. dergl. habe er nicht sonderlich geliebt, sondern sich immer etwas abgesondert gehalten, seinen Dienst pünktlich verrichtet und sich in den Zwischenstunden

Empfohlene Zitierweise:
Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_542.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)