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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

sondern alles wohl überlegen, zu welchem Ende ich ihm bei jeder Antwort soviel Zeit lassen wolle, als er nur verlange.

Nachdem ich diese Ermahnung an ihn gerichtet hatte, gab ich ihm auf, mir den Sinn derselben zu wiederholen, und er that dieses auf eine Art, aus der ich ersah, daß er selbige nicht nur vollkommen verstanden hatte, sondern, daß sie auch nicht ohne Eindruck auf sein Herz geblieben war.

Ich hielt es nun für zweckmäßig, meine Aufmerksamkeit zuerst auf die Vergleichung seines gegenwärtigen und seines früher von mir beobachteten körperlichen und geistigen Zustandes zu richten, um nach den Veränderungen, die sich mittlerweile in beiden ereignet haben konnten, mein weiteres Verfahren zu bestimmen, und seine Aeußerungen über die Hauptgegenstände der Untersuchung zu beurtheilen. Hierbei fand ich

1) Was sein Aeußeres und seine körperliche Gesundheit betrifft:

Blick, Miene, Haltung, Gang und Sprache völlig unverändert, die Gesichtsfarbe, wegen Entbehrung der freien Luft und Bewegung, etwas blässer, Athemholen, Hautwärme und Zunge völlig natürlich. Uebrigens versicherte der Inquisit, daß sein Schlaf ruhig und ohne beunruhigende Träume, sein Appetit gut, und seine natürlichen Ausleerungen in vollkommner Ordnung seyen. Beide zuletzt erwähnten Umstände bestätigte auch auf Befragen der Stockmeister Richter, und fügte hinzu, daß Woyzeck während der ganzen Zeit seiner Gefangenschaft, noch nie über das geringste Uebelbefinden geklagt habe.

Dagegen bemerkte ich, daß das schon früher während der ersten Minuten der Unterredung an ihm wahrgenommene Zittern des ganzen Körpers, besonders wenn mein Besuch ihm sehr unerwartet kam, etwas länger anhielt, und daß der Puls- und Herzschlag zwar regelmäßig und gleichförmig, aber nicht nur voller und beschleunigter war, sondern daß auch der Puls, so oft ich ihn im Laufe der Unterredung untersuchte, immer etwas unruhig, der Herzschlag aber stärker und fühlbarer blieb und einen größern Umfang einnahm, als im natürlichen Zustande. Wenn er dagegen, wie es einigemal geschah, eine halbe Stunde vorher von meiner Ankunft unterrichtet war, bemerkte ich alles dieses in weit geringerem Grade.

2) Was den dermaligen geistigen Zustand des Inquisiten und zwar

a) den Verstand desselben anlangt, so fand ich an ihm weder Unstätigkeit und Zerstreuung, noch Ueberspannung, Abspannung, Vertiefung oder Verworrenheit der Gedanken und Vorstellungen sondern ungetheilte und anhaltend mehrere Stunden ausdauernde Aufmerksamkeit auf den Gegenstand der Unterredung, so daß er mit demselben, auch während ich von Zeit zu Zeit meine Bemerkungen niederschrieb, ununterbrochen beschäftigt schien, und nachher öfters den Faden da

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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 504. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_504.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)