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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

sondern daß er in seiner Kammer am Tage bei einer Lampe gearbeitet, und der Wirth dieses nicht gelitten habe, dieser aber, daß seine Frau ängstlich geworden sey, und daß er ihn nicht länger habe leiden wollen, weil die Woostin so oft zu ihm gekommen. Nach seinem Wegziehen von Haasen ist er, seiner eigenen Aussage nach, vierzehn Tage herberglos gewesen und hat nachher

6) bei dem Buchbinder Wehner in Volkmarsdorf vor der Michaelismesse 1820 drei bis vier Wochen, und späterhin noch zu zwei verschiedenen Malen, in der Neujahr- und Ostermesse 1821, jedesmal ungefähr eben so lange gearbeitet, auch mit Wehnern und den Seinigen im Ganzen ohngefähr vier Wochen in einer Stube geschlafen. Auch hier hat es ihm, wie er behauptet, keine Ruhe gelassen; Wehner aber bemerkt, daß er manchmal in Gedanken gesessen und dann zusammengefahren sey, weßhalb jener ihn ermahnt Gott vor Augen zu haben, dieser aber versprochen habe, in der nächsten Nacht recht fleißig beten zu wollen. Uebrigens will Wehner nichts Auffallendes an ihm bemerkt haben, sondern gibt ihm das Zeugniß, daß er fleißig und gelassen, und sein Schlaf gut gewesen sey, daß er sich Mühe gegeben, etwas zu lernen, aber zuweilen (wie schon oben sub 2 bemerkt worden) ein Glas Schnaps zu viel getrunken und dann weniger gearbeitet habe. Sein Ganzes sey gewesen, daß er sich nicht habe in ein ordentliches Brod finden können.

Aus Mangel an hinreichender Beschäftigung scheint Woyzeck zu Anfang des Winters 1820 den Entschluß gefaßt zu haben, Stadtsoldat zu werden, daher ihn der Feldwebel von gedachter Garnison

7) bei dem Unterofficier Pfeiffer untergebracht hat, wo er bis Weihnachten dieses Jahres geblieben, aber, weil sein Abschied nicht richtig gewesen, bei der Garnison nicht angenommen worden ist. Hier hat er mit dem Tambour Vitzthum einige Wochen lang in einem Bette geschlafen und sich mit Illuminiren für Herrn Klein beschäftiget, aber auch Vitzthumen mehrere Kleinigkeiten, und darunter einen Degen mit Scheide, entwendet, solche aber, sobald sie dieser wieder verlangt, zurückerstattet. Beide versichern, daß sein Betragen gut und verständig und nicht zänkisch gewesen sey; auch hat sein Schlafgeselle Vitzthum nie eine Unruhe, oder sonst etwas Auffallendes an ihm wahrgenommen, obgleich Woyzeck behauptet, daß er auch hier Stimmen gehört, und sonderbare Träume gehabt habe, ohne sich etwas merken zu lassen.

Nachdem Woyzeck Vitzthumen obgedachte Sachen entwendet, ist er, seiner Angabe nach, abermals einige Nächte herberglos und einige Tage im Arrest gewesen, sodann aber

8) Zu der Naumannin gezogen, wo er in der Neujahrmesse 1821 drei Wochen lang gewohnt und vorgegeben hat, Friseur, Schneider, Papparbeiter und Illuminirer zu seyn, ohne Kamm, Scheere, Fingerhut, Papier und Pinsel zu haben, auch zu Hause nichts gearbeitet, sich aber übrigens

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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 500. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_500.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)