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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

Auf den hierüber an die hohe Landesregierung erstatteten Bericht, erfolgte unterm 28. Oktober die Entscheidung, daß sie sich durch die angeführten Umstände zu einer anderweitigen Exploration des Inquisiten und zu Einholung eines Gutachtens der medicinischen Facultät nicht bewogen finde, und daß den gesprochnen Urtheilen und dem Rescripte vom 26. August dieses Jahrs nachgegangen werden solle.

Nachdem hierauf der 13te November zur Hinrichtung des Inquisiten angesetzt und derselbe zweien Geistlichen, um ihn zum Tode vorzubereiten, übergeben, auch die gewöhnliche Fürbitte für ihn in den Kirchen auf den nächsten Sonntag angeordnet worden war, trat am 5. November ein Privatmann mit der schriftlichen Anzeige auf, daß ihm von nahmhaft gemachten Augenzeugen versichert worden sey, der Delinquent habe wirklich von Zeit zu Zeit Handlungen vorgenommen, welche Verstandesverwirrung zu verrathen geschienen.

Auf den hierüber eiligst erstatteten Bericht, nach dessen Abgange jedoch einstweilen mit den Anstalten zur Hinrichtung fortgefahren wurde, ging am 10. November Morgens um 4 Uhr der Befehl ein, mit Vollstreckung des Urtheils annoch anzustehen, weitere Erkundigungen in der Sache einzuziehen, sodann die Akten dem Verfasser dieser Schrift anderweit zur Begutachtung vorzulegen, den Inquisiten nochmals mit einer Defension zu hören und das künftig eingehende Urtheil mittelst Berichts einzusenden.

Das diesem Befehl zufolge von mir erstattete Gutachten, welches ausser einer gedrängten Darstellung der auf die Beurtheilung des Falles Bezug habenden Lebens-, Gesundheits- und Geistesumstände des Inquisiten 1) eine medizinisch-psychologische Entwickelung der theils aus den Akten geschöpften, theils von mir selbst beobachteten Thatsachen; 2) die Folgerungen, die aus gedachten Thatsachen für die Zurechnungsfähigkeit des Inquisiten gezogen werden können, und endlich 3) die hierauf gegründete ärztliche Entscheidung enthält, lautet folgendermaßen.

Nachdem zufolge allerhöchsten Rescripts vom 9. November vorigen Jahres von Einem Hochlöblichen Königlich Sächsischen Kriminalgerichte allhier mir Endesunterschriebenen am 8. Januar dieses Jahres die Woyzeck’schen Akten anderweit zur Begutachtung vorgelegt worden sind, habe ich nicht nur der Durchsicht derselben mich sofort mit aller, der Wichtigkeit des Gegenstandes schuldigen Sorgfalt und Aufmerksamkeit unterzogen, sondern auch, in Rücksicht auf mehrere, neuerdings aktenkundig gewordene Umstände, die mir, aus ärztlich-psychologischem Gesichtspunkte betrachtet, noch eine genauere Erörterung zu erfordern schienen, den Inquisiten Woyzeck, nach mündlich eingeholter Genehmigung des Gerichtes, nochmals zu fünf verschiedenen

Empfohlene Zitierweise:
Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 493. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_493.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)