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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821].
In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte, Hamburg 1967.

reichen, redlich erfüllt haben, und daß es, bei einer ganz nahe liegenden Vergleichung desselben mit dem berüchtigten Fonk’schen Prozesse, mit mir das Glück erkennen müsse, in einem Lande zu leben, wo nicht unwissende Geschworne, bei unvollständigen Beweisen, nach einem dunkeln moralischen Gefühl über Leben und Tod richten, sondern wo Thatsachen und Urtheile, von denen Menschenleben abhängt, der strengsten und vielseitigsten Prüfung unterworfen, und selbst dem überwiesenen Verbrecher, beim mindesten Anscheine einer Verminderung seiner Schuld, eine neue Frist, und eine neue Untersuchung verstattet, der Publicität solcher Verhandlungen aber kein Hinderniß in den Weg gelegt wird.

Mögen daher alle, welche den Unglücklichen zum Tode begleiten, oder Zeugen desselben seyn werden, das Mitgefühl, welches der Verbrecher als Mensch verdient, mit der Ueberzeugung verbinden, daß das Gesetz, zur Ordnung des Ganzen, auch gehandhabt werden müsse, und daß die Gerechtigkeit, die das Schwerdt nicht umsonst trägt, Gottes Dienerin ist. – Mögen Lehrer und Prediger, und alle Diejenigen, welche über Anstalten des öffentlichen Unterrichts wachen, ihres hohen Berufs eingedenk, nie vergessen, daß von ihnen eine bessere Gesittung und eine Zeit ausgehen muß, in der es der Weisheit der Regierungen und Gesetzgeber möglich seyn wird, die Strafen noch mehr zu mildern, als es bereits geschehen ist. – Möge die heranwachsende Jugend bei dem Anblicke des blutenden Verbrechers, oder bei dem Gedanken an ihn, sich tief die Wahrheit einprägen, daß Arbeitsscheu, Spiel, Trunkenheit, ungesetzmäßige Befriedigung der Geschlechtslust, und schlechte Gesellschaft, ungeahnet und allmählich zu Verbrechen und zum Blutgerüste führen können. – Mögen endlich alle, mit dem festen Entschlusse, von dieser schauerlichen Handlung zurückkehren: Besser zu seyn, damit es besser werde.

Leipzig den 16. August 1824.

Clarus


Am 21. Juni des Jahres 1821, Abends um halbzehn Uhr, brachte der Friseur Johann Christian Woyzeck, ein und vierzig Jahr alt, der sechs und vierzig jährigen Wittwe des verstorbenen Chirurgus Woost, Johannen, Christianen, gebornen Otto’in in dem Hausgange ihrer Wohnung auf der Sandgasse, mit einer abgebrochnen Degenklinge, an welche er desselben Nachmittags einen Griff hatte befestigen lassen, sieben Wunden bei, an denen sie nach wenigen Minuten ihren Geist aufgab, und unter denen eine penetrirende Brustwunde, welche die erste Zwischenrippenschlagader zerschnitten, beide Säcke des Brustfelles durchdrungen, und

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Johann Christian August Clarus: Die Zurechnungsfähigkeit des Mörders Johann Christian Woyzeck [1821]. In: Georg Büchner, Sämtliche Werke und Briefe (Hamburger Ausgabe), Hrsg. von Werner R. Lehmann, 1. Band: Dichtungen und Übersetzungen mit Dokumentationen zur Stoffgeschichte. Hamburg: Wegner, 1967, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Clarus-Gutachten_490.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)